Wir wollen selbst ein Produkt nicht allzu guter Qualität entwerfen und uns um Siegel bewerben. Es gibt einen riesigen Markt von Unternehmen, die Testverfahren und Siegelvergaben anbieten. Wir wählen die Unternehmen "Warentest Online" und "Prüfengel" - beide Siegel springen uns auf Verkaufsplattformen wie Amazon oft entgegen.
Hygienemangel eingebaut – wem fällt er auf?
Aber erst einmal brauchen wir ein Produkt. Dort, wo sonst Kulissen für Fernsehshows entstehen, in den Werkstätten unserer Landesrundfunkanstalt, entwickeln die Kollegen den „headpott“ im 3-D-Drucker: einen Kopfhörerständer. Unten eine Fläche mit einer Ausbuchtung für einen Kaffeebecher, hinten ragt eine Art Galgen nach oben. Darauf kann man den Kopfhörer ablegen.
Entwickler Matthias Schmitz findet sein Produkt allerdings nicht ganz so gelungen – mit Absicht: "Ein kritischer Punkt ist einfach die Nähe von der Kopfhörer-Ohrmuschel zu der Tasse. Der Kleckerrand an der Tasse wird sich irgendwann auf die Ohrmuschel abfärben und das wird nicht schön sein. Also Hygiene ist hier das Thema." Rutschfest ist der headpott auch nicht. Werden die Mängel den Testern der Siegel-Unternehmen auffallen?
Wir gründen einen etsy-shop und bieten den "headpott" dort zum Preis für 34,95 Euro an.
Was kostet eine Siegel von Warentest Online?
Zunächst wollen wir versuchen, das Siegel von "Warentest Online" zu bekommen. Auf der gleichnamigen Internetseite verspricht das Institut für Warentests "Vertrauen für Verbraucher, Erfolg für Händler". Man teste Produkte im "WTOI-Testverfahren", dieses standardisierte Testverfahren garantiere ein neutrales Verfahren und gewährleiste ein "faires und aussagekräftiges Ergebnis für Verbraucher und Händler".
Zwei Exemplare reichen wir ein – das kostet uns 299 Euro für das Basic-Paket: Produkttest und die Erlaubnis, das "Warentest Online"-Siegel zwölf Monate lang zu verwenden. Nach sieben Tagen sollen unsere Testergebnisse da sein.
Der "headpott" möchte es anderen Konsumgütern gleichtun: Fahrradschlösser, Babydecken, Brotkörbe, Kopfkissen – es gibt kaum ein Produkt, das nicht mit einem Siegel ein Qualitätsversprechen abgibt. In einem öffentlich zugänglichen Forum für Online-Verkäufer wird über solche Siegel diskutiert. Sie seien unverzichtbar. Vergleichstests mit und ohne Siegel zeigten: "Die A/B-Tests mit den Siegeln liefen mehr als eindeutig. ALLE Artikel mit Testbadge hatten einen deutlichen Uplift."
Mehr Umsatz mit Siegel
So hat sich ein riesiger Markt entwickelt: Viele Unternehmen vergeben Testsiegel und buhlen um Aufträge von Konsumgut-Herstellern. Ein lohnenswertes Invest:
20 bis 30 Prozent mehr Umsatz seien mit Siegel drin, so Bernecker.
So viel kostet das Siegel von "Prüfengel"
Für unseren "headpott" investieren wir in noch ein Siegel, den "Prüfengel". Das Procedere ist ähnlich wie bei "Warentest Online", nur teurer. 522 Euro müssen wir für das Testverfahren hinlegen. Dieses und auch der Name des Unternehmen ändern sich, während unser "headpott" im Test ist. Gab es bislang Siegel mit Noten, dürfen wir jetzt nur noch auf ein Siegel mit Engel-Silhouette und dem Haken "geprüfte Qualität" hoffen. Das Testverfahren werde verschärft, schreibt das Unternehmen.
Top-Noten von "Warentest Online" und "Prüfengel"
Nach einigen Tagen gibt es Post in unserem "headpott"-Mailfach. "Warentest Online" findet den "headpott" super, er bekommt 94 von 100 möglichen Punkten, das Siegel gibt uns eine 1,1. Der Prüfbericht ist in vielen Absätzen hingerissen: "Der Headpott ist mehr als nur ein Schreibtisch-Organizer – er ist ein durchdachtes und zugleich elegantes Produkt, das Design und Funktionalität auf bemerkenswerte Weise verbindet".
Auch die "Prüfengel"-GmbH haben wir überzeugt: Der "headpott" besteht den neuen "authenthischen Verbrauchertest" mit fast voller Punktzahl.
Wir dürften jetzt auf online-Verkaufsplattformen mit den Siegeln werben.
Keines der Test-Unternehmen hat Bedenken wegen der Hygiene. Auch die Stabilität wird nicht bemängelt, obwohl das Plastikteil auf glatten Flächen leicht hin und her rutscht. 34,95 Euro für ein wenig Kunststoff scheinen auch nicht zu teuer.
Was uns allerdings auffällt, während wir die Internetseiten verschiedener Unternehmen mit den dort veröffentlichten Testsiegeln durchstöbern: Schlechtere Noten als eine Zwei gibt es praktisch nie. Das sei pure Absicht, sagt Michael Bernecker: "Da würden wir als Kunden ja auch sagen, ich möchte keine befriedigendes Produkt kaufen oder ein ausreichendes Produkt, ich möchte immer nur das Beste kaufen."
Prüfengel wird uns später schreiben, dass in diesem Jahr 975 Produkte getestet worden seien, 117 davon hätten kein Siegel erhalten.
Testverfahren bei Prüfengel und Warentest Online
Wir fragen uns: Wer hat unsere Produkte überhaupt getestet? "Unsere Tests basieren auf individuellen Erfahrungen echter Verbraucher und spiegeln deren persönliche Eindrücke und Meinungen wider", heißt es auf pruefengel.de.
Im Internet finden wir ein Video, in dem Prüfengel-Geschäftsführer Micha Rienecker die Test-Praxis erklärt: "Das sind Studenten, die testen (…) das sind Hausmuttis, die die Küchenprodukte abdecken. (…) Die Personen durchlaufen einen Prüfprozess und werden geschult."
Abmahnung für Warentest Online
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen findet die Prüfkriterien mancher Siegel-Unternehmen viel zu lasch, mit "Warentest Online" ist man offen im Clinch, so Kerstin Hoppe vom Bundesverband: "Wir haben Warentest Online abgemahnt weil uns aufgefallen ist, dass sie mit Qualitätsurteilen bzw. mit Siegeln werben ohne dass die Testkriterein feststehen und diese Art von Werbung halten wir für unlauter."
Das Verfahren läuft noch.
Stellungnahmen von Prüfengel und Warentest Online
Natürlich haben wir uns nach dem Erhalt der Siegel zu erkennen gegeben und um Stellungnahmen zur Arbeitsweise gebeten. "Warentest Online" hat nicht geantwortet. Die Prüfengel GmbH sehr ausführlich. "Während Institutionen wie die Stiftung Warentest häufig Laborbedingungen nutzen, setzen wir bewusst auf praxisnahe Verbrauchertests." Man wolle vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen eine Plattform bieten, ihre Produkte zertifizieren zu lassen. Geschulte Verbraucher würden dies übernehmen, man wolle eine "klare Orientierungshilfe für den Alltag" geben.
Headpotts Hygieneproblem hätten die Tester so nicht wahrgenommen, man werde aber in künftigen Tests noch mehr auf Besonderheiten achten.
Siegel: Eher Marketing als Qualitätsversprechen?
Marketing-Experte Bernecker empfiehlt, die meisten Siegel eher als Marketing-Werkzeuge denn als Qualitätsversprechen zu sehen. Sein Tipp: Man solle hinterfragen, wo das entsprechende Siegel herkomme. Und sich online die Prüfverfahren anschauen und dann entscheiden, ob man dem Siegel vertrauen wolle.