Grüner Wasserstoff soll die Einhaltung der Klimaziele ermöglichen
Der European Green Deal der Europäischen Kommission sieht vor, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. Bereits in den nächsten zehn Jahren muss Deutschland seinen Ausstoß an Treibhausgasen radikal senken. Das kann nur klappen, wenn die Energiewende auf alle Wirtschaftsbereiche ausgedehnt und sämtliche fossilen Energieträger nach und nach ersetzt werden – zum Beispiel durch „grünen Wasserstoff“.
Nationale Wasserstoffstrategie: Deutschland will international führend werden
Wirtschaftsminister Peter Altmaier erklärte im Juni 2020: „Wir wollen, dass Deutschland bei den Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt wird.“ Da die nationalen Pläne zur Umsetzung des Green Deal bereits 2023 kritisch auf ihre Erfolge hin geprüft und überarbeitet werden sollen, müssen zügig Maßnahmen ergriffen werden.
Vor diesem Hintergrund wurde von der deutschen Bundesregierung am 10. Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Neun Milliarden Euro will Berlin für den Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft bereitstellen – für Forschung und Entwicklung, den Aufbau von Infrastruktur und für internationale Kooperationen. Produktionsanlagen mit einer Kapazität von fünf Gigawatt sollen bis 2030 in Deutschland entstehen. Das entspricht der Leistung von drei mittleren Atomkraftwerken. Zehn Jahre später soll sich die Leistung verdoppelt haben.
Das Faktenblatt "Grüner Wasserstoff" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
Bei der Elektrolyse werden Wasserstoff und Sauerstoff getrennt
Das Verfahren, mit dem Wasser in seine beiden Bestandteile zerlegt wird, heißt „Elektrolyse“: Aus H2O werden H2 und O. Das geschieht mithilfe von elektrischem Strom. Seit gut 150 Jahren ist die Technik bekannt, durchgesetzt hat sich der Wasserstoff als Energieträger trotzdem nicht. Der Grund: Energie aus Kohle, Erdöl oder Erdgas zu gewinnen ist bisher viel billiger.
Viele der Technologien, die zur Produktion, zur Weiterverarbeitung und Anwendung von grünem Wasserstoff benötigt werden, sind längst entwickelt und wurden in zahlreichen Pilotprojekten erprobt. Ihre Hersteller haben nur darauf gewartet, dass es endlich losgeht mit dem Aufbau einer grünen Wasserstoff-Wirtschaft. Dazu gehört das Technologie-Unternehmen „Sunfire“ in Dresden. Seine „High-Tech-Elektrolyseure“, die aussehen wie Kühlschrank große Aggregate, können mehr als nur Wasserstoff erzeugen.
In ihrem Inneren sieht man komplexe Gebilde aus Röhren, Schläuchen und Kabeln. Das Herzstück der Technologie hingegen wirkt recht unspektakulär: Eine keramische Folie filtert den Sauerstoff aus dem Wasser. Wenn dann noch CO2 aus Industrieabgasen zugeführt wird, können sich die Wasserstoff- und die Kohlenstoffmoleküle zu einem Synthese-Gas verbinden. Dieses wiederum kann zu künstlichem Erdgas oder künstlichen Flüssigtreibstoffen weiterverarbeitet werden. „Power-to-Gas“ und „Power-to-Liquid“ lauten die dazugehörigen Fachbegriffe.
Die junge Firma aus Dresden ist nach ThyssenKrupp und Siemens der dritte große Anbieter für diese Technologie in Deutschland. Interessant ist das Unternehmen für alle, die an strombasierten, grünen Alternativen zu fossilem Erdgas und Erdöl arbeiten.
Brennstoffzelle im Auto erzeugt Strom aus Wasserstoff
In der Brennstoffzelle eines Autos verläuft der Prozess später umgekehrt: Dem Wasserstoff wird Sauerstoff beigesetzt und die beiden verbinden sich zu Wasser, das ausgestoßen wird. Der bei diesem Prozess entstehende Strom treibt das Auto an. Die dabei entstehende Wärme kann zum Heizen des Innenraums verwendet werden. Aus technischem Fachwissen dieser Art hoffen Regierung und Wirtschaft, große Gewinne in Deutschland generieren zu können. Auch das motiviert die Nationale Wasserstoffstrategie.
Nicht jeder Wasserstoff ist "grün"
Wasserstoff lässt sich zwar auch mithilfe von Erdgas erzeugen, dabei entweichen aber große Mengen des klimaschädlichen CO2 in die Atmosphäre – das Produkt trägt deshalb den etwas tristen Namen „grauer“ Wasserstoff. Wird das entstehende CO2 dagegen sicher gespeichert, so ist von „blauem“ Wasserstoff die Rede. Auch an "türkisfarbenem" Wasserstoff, bei dem der Kohlenstoff sofort vom Sauerstoff getrennt wird, damit er gar nicht erst in der Atmosphäre landen kann, wird geforscht.
Kritik: In Deutschland gibt es zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien
Zur Herstellung von wirklich „grünem“ Wasserstoff wird ebenso „grüner“ Strom benötigt. Der ist allerdings nicht immer ausreichend vor Ort vorhanden. So sagt Oliver Kirscher, der energiepolitische Sprecher der Grünen im Bundestag: „Entscheidend ist am Ende die Frage – nicht die Technik, die haben wir bereits – sondern haben wir genug Strom aus Erneuerbaren? Und da hapert es zurzeit, weil der Ausbau von Wind und Sonne deutlich ausgebremst wird und damit gibt es da einen Flaschenhals“
Wasserstoff lässt sich gut transportieren
Bei der Gewinnung von Wasserstoff mithilfe von Strom geht Energie verloren. Warum das unter bestimmten Umständen dennoch sinnvoll ist, erklärt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) wie folgt: „Entscheidend sind dabei seine guten Transporteigenschaften. Mit grünem Wasserstoff können wir Wind und Sonne aus anderen Regionen unserer Erde importieren. Kurz gesagt: Wasserstoff ist das Erdöl von morgen.“
Aus diesen guten Transporteigenschaften folgen zwei wichtige Feststellungen:
- Grüner Strom muss nicht aus Deutschland kommen
- Wasserstoffantriebe eignen sich besonders für große und schwere Verkehrsmittel
Wie kann das konkret aussehen?
Solarstrom in sonnenreichen Ländern produzieren lassen
Da der grüne Strom zur Wasserstoffgewinnung nicht zwangsläufig aus Deutschland kommen muss, könnten sonnenreiche Länder, zum Beispiel in Nordafrika, große Mengen Solarstrom produzieren. Findet die Elektrolyse gleich vor Ort statt, kann der Strom dann exportiert werden, etwa nach Deutschland.
Peter Altmaier betont: „Wir werden auch in Zukunft saubere Energie und Wasserstoff importieren müssen. Weil es heute schon so ist, dass wir 80 Prozent des Primärenergie-Bedarfes importieren in Form von fossilen Rohstoffen. Die sollen ersetzt werden durch sauberen Wasserstoff und deshalb ist die internationale Dimension dieses Themas von ganz besonderer Bedeutung.“
Technologie-Export gegen Wasserstoff-Import
Dabei will man sich im Wirtschaftsministerium freilich nicht auf das Einkaufen beschränken. Die Idee: Technologie-Export gegen Wasserstoff-Import. Auch darum spielen Forschungsgelder in der Nationalen Wasserstoffstrategie eine große Rolle.
Ein Kooperationsvertrag mit Marokko ist inzwischen unterzeichnet. Allerdings möchte das afrikanische Land seinen grünen Wasserstoff erst einmal selbst nutzen, um Kunstdünger zu produzieren. Auch andere afrikanische Länder brauchen dringend Erneuerbare Energien für den eigenen Bedarf. Weitere Angebote kommen von der arabischen Halbinsel, etwa aus Katar. Hier zeichnen sich schwierige wirtschaftliche Fragen globalen Maßstabs ab.
Wasserstoffantriebe für Flugzeuge, Schwerlastwagen und Schiffe
Mit grünem Wasserstoff können Verkehrsmittel klimaneutral angetrieben werden, deren Elektrifizierung in absehbarer Zeit nicht möglich ist. Zum Beispiel Flugzeuge, Schwerlastwagen oder Schiffe.
Bei der Privatnutzung von Kleinwagen ist man nicht zwingend auf Wasserstoff angewiesen. Hier konkurrieren E-Autos und wasserstoffbetriebene H-Autos miteinander. Während das E-Auto auch am eigenen Photovoltaik-Carport zu Hause aufgeladen werden kann, ist das H-Auto zwangsläufig auf die Verfügbarkeit des Wasserstoffs, meist an Tankstellen, angewiesen. Auch hier sind Fragen des Klimaschutzes und industrielle Interessen eng verwoben.
Wasserstofftankstellen sollen zahlreicher werden
Damit der Aufbau von Wasserstoff-Tankstellen überhaupt wirtschaftlich interessant wird, wird im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie viel Geld investiert: Bis zu 1,5 Millionen Euro kostet der Aufbau einer Wasserstoff-Station. Die Hälfte der Kosten übernimmt der Staat. Das vorläufige Ziel von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): 15 weitere Tankstellen pro Jahr. Bis Ende 2021 sollen genug Tankstellen für 500 Wasserstoff-betriebene Nutzfahrzeuge und 60.000 Pkw bereitstehen.
Dass Wasserstoff-PKW in Deutschland schon bald populär werden, scheint fraglich. Denn der klimaneutrale, grüne Wasserstoff wird vorerst knapp und wertvoll bleiben. Er soll vor allem dort eingesetzt werden, wo es keine klimaverträglichen Alternativen gibt: in der Schwerindustrie, dem Flug- und Schiffsverkehr und bei LKW. Und zwar schnell. Bisher geht es jedenfalls viel zu langsam voran – so urteilte der eigens eingesetzte Nationale Wasserstoff-Rat im April 2021, ein Jahr nach der Verkündung der Nationalen Wasserstoff-Strategie.
SWR 2020 / 2021