In Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade entstehen in Rekordzeit LNG-Terminals, damit flüssiges Erdgas per Schiff ins Land kommen kann. Was sonst Jahre dauert, geht plötzlich innerhalb von Monaten.
Auch für den schnellen Ausbau der Windenergie und den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft spielt die Nordseeküste eine entscheidende Rolle.
Nicht alle sind mit der schnellen Industrialisierung ihrer Heimat einverstanden. Es gibt Konflikte mit Anwohnern, Naturschutz und Tourismus.
Beispiel Flüssiggas: Deutschland will unabhängig werden von Gas aus Russland
Deutschland will wegen des Krieges in der Ukraine unabhängig werden von russischem Pipeline-Gas. Gleichzeitig soll wegen des globalen Klimawandels das Zeitalter der fossilen Energien enden. An der Nordseeküste lässt sich die Energiewende in Krisenzeiten wie unter einem Brennglas beobachten.
Vor dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich Deutschland blind auf die günstigen Gaslieferungen aus Russland verlassen. Danach entwickelte sich hektische Betriebsamkeit, um Ersatz zu beschaffen. An der Nordseeküste fiel der Startschuss Anfang Mai 2022: In Hooksiel, einem Vorort von Wilhelmshaven, versammelte sich an einem windigen Frühlingstag ein Großaufgebot aus Politik, Wirtschaft und internationaler Presse. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen war gekommen, um den Baubeginn für Deutschlands erstes LNG-Terminal zu feiern.
Nördlich des Jade-Weser-Ports wurde ein Industrie-Anleger der landeseigenen Hafengesellschaft NiedersachsenPorts um mehrere Anbauten erweitert. Damit hier nun auch Tankschiffe mit Flüssig-Gas anlegen können, die größer sind als alles, was bisher festmachte. 194 Pfähle wurden in den Meeresboden gerammt, mehr als 7.000 Tonnen Stahl verbaut. Kostenpunkt: 56 Millionen Euro Steuergeld. Die Gesamtkosten für den Bau und Betrieb mehrerer solcher schwimmenden Terminals haben sich im Lauf des Jahres 2022 auf mehr als sechs Milliarden Euro verdoppelt. Dafür war der erste LNG-Anleger in Wilhelmshaven aber auch in Rekordzeit fertig: nach nicht einmal 200 Tagen.
Hohe Investitionen für die Versorgungssicherheit
Denn es geht um die Versorgungssicherheit: Das ist Ende 2022 das Stichwort, mit dem die Investitionen riesiger Summen in einen fossilen Energieträger gerechtfertigt und begründet werden. Niemand soll im Winter frieren, weil Kreml-Chef Wladimir Putin am Gashahn dreht. Doch woher soll das Erdgas kommen, und wie? Ohne die Pipelines aus Russland muss der Rohstoff in Tankern transportiert werden, verflüssigt und tiefgekühlt. In Wilhelmshaven angekommen, muss das Flüssigerdgas dann wieder in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt werden.
Dafür braucht es das schwimmende LNG-Terminal, eine sogenannte FSRU, eine Floating Storage and Regasification Unit, eine schwimmende Speicher- und Regasifizierungsanlage also. Das sind gut 300 Meter lange und knapp 50 Meter breite Spezialschiffe.
In Hooksiel bei Wilhelmshaven hat die FSRU "Höegh Esperanza" den Anfang gemacht. Sie ist für zehn Jahre gechartert. Künftig soll jede Woche ein LNGTransportschiff eintreffen, neben der "Esperanza" festmachen und seine Ladung übergeben. Die wird dann erwärmt und ins Gasnetz eingespeist.
Deutschland hatte bisher kein eigenes LNG-Terminal. Es gab also keine Möglichkeit, Flüssiggas zu importieren. Der Bund hatte nach Ausbruch des Ukraine-Krieges darum schnell fünf dieser weltweit rund 50 schwimmenden Terminals gechartert. Wilhelmshaven soll noch ein zweites bekommen, eines geht nach Stade, ebenfalls in Niedersachsen, eins nach Brunsbüttel in Schleswig-Holstein und eines nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.
Doch es gibt auch Kritik, denn LNG wird oft mit der umstrittenen Fracking-Methode gewonnen. Und Erdgas ist ein fossiler Energieträger. Der Ausbau von Windkraft und Solarenergie bleibt wichtig.