Die Schule prägt das Sprach-Verständnis
Wenn wir in die Schule kommen, tritt uns die Sprache als Gegenstand des Lernens gegenüber. Dabei stehen zwei Dinge hoch im Kurs: Regeln und Schrift.
Wir erlernen den schriftlichen Code und erleben, dass Dinge als "richtig" oder "falsch" eingeordnet werden, eine ganz andere Erfahrung als bis dahin, wo wir Sprache als Mittel der Kommunikation erlebt haben.
Diese Erfahrung in der Schule ist prägend für unsere Einstellung gegenüber der Sprache. Wir messen Sprache nach den Kriterien, die die Schule vermittelt, nicht nach denen, die das Leben vermittelt.
Die Aufgabe der Schrift-Sprache
Oft wird der Schriftsprache ein höherer Rang zugesprochen als der mündlichen Sprache. Sie sei eine unvollständige, fehlerhafte, minderwertige Fassung der Schriftsprache.
Dazu eine Anekdote: Eine ältere Dame hält den ersten "Brief" in der Hand, den ihre Enkelin ihr geschrieben hat. Das Ergebnis: ein verständlicher, aber von den Regeln der deutschen Orthografie abweichender Text.
Das Kind ist im Vorschulalter und hat sich ohne Anleitung das Schreiben selbst beigebracht. Weil der Text von den Regeln der deutschen Orthografie abweicht, tadelt die Oma ihre Enkelin. Doch die Oma verwechselt da etwas.
Es ist natürlich nicht die Aufgabe der Sprecher, sich buchstäblich – im wahrsten Sinne des Wortes – nach der Schrift zu richten.
Wenn das Kind das Wort verstehen ohne <r> und ohne <h> schreibt, dann reflektiert diese Schreibweise die Aussprache des Wortes ganz korrekt. Sogar "besser" als die amtliche Schreibung.
Wörter entstehen nicht im Wörterbuch
Die Vorstellung, dass richtige Wörter nur solche sind, die im Wörterbuch stehen, ist abwegig. Alle Wörter beginnen ihr Leben außerhalb des Wörterbuchs.
Es gibt keine Wörter, die zunächst im Wörterbuch stehen und dann in die Sprache gelangen. Es ist umgekehrt.
Die logischen Sprachen
Das Lateinische hat, und das ist das Entscheidende, kein Alleinstellungsmerkmal.
Auch in morphologisch einfacheren Sprachen wie dem Englischen müssen "logische" Bezüge hergestellt werden, müssen die Beziehungen zwischen Satzgliedern verstanden werden. Sonst ist keine Sprachproduktion und keine Sprachverarbeitung möglich.
Und ist es nicht merkwürdig? Für das Russische, das dem Lateinischen in seiner Struktur bemerkenswert ähnlich ist, wird nie mit dem Argument geworben, es fördere das logische Denken.