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Quälendes Alleinsein – Macht Einsamkeit krank?

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Autor/in
Sonja Striegl
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Onlinefassung
Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.

Immer wieder heißt es, die Vereinsamung nehme zu. Ist das quälende Alleinsein Ursache für Herzinfarkt, Depression und früheren Tod? Wie kann man mit Einsamkeit umgehen?

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Aktuelle Studien warnen, dass jeder und jede zehnte Deutsche einsam ist, im hohen Alter ab 85 ist es sogar jeder Fünfte.

Die Psychologin Professor Maike Luhmann von der Universität Bochum hat eine der wenigen großen Studien zu Einsamkeit in Deutschland durchgeführt. Das mediale Interesse daran wuchs schlagartig, als Anfang 2018 in Großbritannien eine Staatssekretärin zur „Einsamkeits-Ministerin“ berufen wurde.

Von BILD bis FAZ, von 3Sat bis ZDF – alle berichteten über Einsamkeit in Deutschland. Für Maike Luhmann ein Interview-Marathon. Dabei hat sie ihre Studie schon 2016 veröffentlicht. Darin hat sie Aussagen von 16.000 repräsentativ ausgewählten Deutschen aus dem Sozioökonomischen Panel ausgewertet.

Reden über Einsamkeit

Weil Menschen nicht gern frank und frei zugeben, dass sie unter Einsamkeit leiden, vermeiden Wissenschaftler dieses Wort. Sie fragen lieber: „Wie oft empfinden Sie, dass Ihnen ein anderer Mensch fehlt?“ „Wie oft fühlen Sie sich verlassen?“ Und: „Wie oft fühlen Sie sich von anderen isoliert?“.

Ist Einsamkeit eine Krankheit? Diese These stammt vom Ulmer Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer. Er hat seinem im Frühjahr erschienenen Buch den dramatischen Titel „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich“ gegeben. Den Vorwurf, er übertreibe, wenn er Einsamkeit zur Krankheit erkläre, die sich wie eine Epidemie ausgebreitet habe, kontert Spitzer gelassen. Er provoziere eben gern und das Buch soll verkauft werden. Doch die wenigen Einsamkeits-Studien geben diesen Zusammenhang nicht her.

Chronisch einsame Menschen sterben früher

Die Studien beweisen jedoch, dass chronisch einsame Menschen im Schnitt früher sterben. Gut belegt ist auch, dass einsame Menschen ein höheres Risiko für seelische und körperliche Erkrankungen haben. Und dass weder die Betroffenen noch die Gesellschaft diese Folgen der Einsamkeit ernst nehmen.

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Seniorentreff - zusammen ist man weniger allein

Wie hängt Einsamkeit mit Angst und Depressionen zusammen?

Die Mainzer Psychologin Ana Tibubos hat Daten aus der Gutenberg-Gesundheitsstudie zum Zusammenhang zwischen Depressionen, Angst und Einsamkeit ausgewertet. Für die Studie werden regelmäßig 15.000 Menschen aus der Rhein-Main-Region befragt und medizinisch untersucht. Bei den Einsamen unter ihnen war die Neigung zu Angststörungen und zu Suizidgedanken signifikant erhöht. Mehr als die Hälfte derjenigen, die unter extremer Einsamkeit leiden, leidet auch unter Depressionen.

Nicht alle Einsamen sind depressiv

Stimmt deshalb die These, dass einsame Menschen einfach depressiv sind? Die Mainzer Forscherin widerspricht: Nicht alle Einsamen sind depressiv. Inwiefern Einsamkeit Depression hervorruft oder die Depression zur Vereinsamung führt, wollen die Mainzer Forscher um Dr. Tibubos noch herausfinden.

In der Mitte des Lebens leiden besonders viele unter Einsamkeit

Gefährdet sind nicht nur alte und sehr alte Menschen. Einsamkeit ist keine Frage des Alters. Es gibt eine zweite Altersgruppe, die laut den Einsamkeits-Studien besonders belastet ist: die Mitte Dreißigjährigen.

Die Bochumer Psychologieprofessorin Maike Luhmann nennt ihre These, warum Männer und besonders Frauen in diesem Alter vermehrt über ein Gefühl der Einsamkeit berichten: Diese Altersphase nennt man oft die Rush-Hour des Lebens und damit soll ausgedrückt werden, dass es eine Phase ist, in der unglaublich viele Dinge passieren sollen.

Der Philosoph Dr. Christoph Quarch hält die soziale und kulturelle Prägung für entscheidend dafür, welchem Idealbild Menschen hinterher eifern, womit sie sich vergleichen, und ab wann sie den eigenen Status als gescheitert betrachten. Und darunter leiden. Das Kollektiv kultiviere das Einzelkämpfertum, den ökonomischen Erfolg und das perfekte Aussehen. Ein falscher Weg, kritisiert Quarch.

Wo gehöre ich hin? Wer gehört zu mir?

Wer auf diese Fragen eine befriedigende Antwort gefunden hat, hält selbst das vorübergehende Alleinsein aus. Und schätzt den gewählten Rückzug in die Stille sogar, um sich schließlich wieder öffnen zu können für echte zwischenmenschliche Begegnungen, fürs Zuhören, für die Gemeinschaft.
Menschen aber, die aufgrund von Armut, Alter, Krankheit oder Pflege eines Angehörigen in die soziale Isolation geraten, benötigen Unterstützung. Denn die gesundheitlichen Gefahren, die die Vereinsamung mit sich bringen kann, sind zu groß. Hier ist die Politik gefragt, für Entlastung zu sorgen.

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