- Mit welcher Methode lässt sich die innere Stimme dokumentieren?
- Theory of mind: Warum die innere Stimme nützlich ist
- Der innere Kritiker: Wenn die innere Stimme zur Belastung wird
- Werkzeugkasten gegen Grübelschleifen
- Wenn die innere Stimme zum Wahn wird: Therapieansätze
Descriptive Experience Sampling: sich die innere Stimme bewusst machen
Die innere Stimme zu erforschen, ist nicht einfach. Charles Fernyhough, Professor für Psychologie an der Durham University in England, ist dem Phänomen schon lange auf der Spur: Wo kommt die innere Stimme her und was machen die Wörter in unserem Kopf, fragt Fernyhough. Wie erleben Menschen ihre innere Stimme?
Prof. Fernyhough leitet das Forschungsprogramm "Hearing the Voice". Um das Gehirngeplapper zu dokumentieren, erhalten Versuchspersonen ein kleines Gerät mit Zufallsgenerator. Täglich ertönt etwa sechsmal ein Piepton. Bei jedem Piep sollen sie notieren, was ihnen in diesem Augenblick durch den Kopf gegangen ist. Nach einem Tag werden die Personen befragt und angeleitet, auf die kleinsten Details zu achten. "Descriptive Experience Sampling“ heißt die Methode.
Was die innere Stimme sagt, reicht von Banalitäten über endlose Grübelschleifen bis zu existenziellen Gedanken. Woher kommt das alles? Was passiert da im Kopf? Um das herauszufinden, hat Charles Fernyhough mit seiner Forschungsgruppe zahlreiche Freiwillige im Hirnscanner untersucht. Konkrete Anweisungen erhielten die Probanden nicht:
Die Forscher interessierten sich vor allem für jene Erlebnisse, in denen die innere Stimme ein Dialog ist.
"Theory of Mind“-Netzwerk funktioniert auch bei der inneren Stimme
Mit "Theory of Mind“ beschreibt die Psychologie die Fähigkeit des Menschen, sich in andere hineinzuversetzen. Wir verstehen die Motive, Absichten und Bedürfnisse unseres Gegenübers. Dabei sind bestimmte Areale im Gehirn aktiv, das "Theory of Mind“-Netzwerk. Fernyhoughs Forschungsteam beobachtete nun, dass dieses Netzwerk auch dann aktiviert war, wenn die Versuchspersonen im Hirnscanner von inneren Dialogen berichteten. Diese Erkenntnis ist eine kleine Sensation. Charles Fernyhough sieht darin den Beweis für eine hundert Jahre alte Theorie über den Ursprung der inneren Stimme. Sie geht auf den russischen Psychologen Lew Wygotski zurück.
Lew Wygotski äußerte die Vermutung, dass die innere Stimme sich während der Kindheit entwickelt. Kinder lernen ihre Muttersprache im sozialen Hin und Her mit Eltern, Geschwistern und anderen Bezugspersonen. Sobald sie Worte beherrschen, sprechen sie auch laut mit sich selbst, etwa beim Spielen. "Egozentrisches Sprechen" nannte Wygotski das. Das Kind thematisiert zum Beispiel ein Hindernis, vor dem es steht.
Das Selbstgespräch ist dabei nicht nur der Soundtrack zum Spielen. Es hilft dem Kind, sein Ziel zu erreichen.
Solche Selbstgespräche hören auf, wenn Kinder ins Schulalter kommen. Aber sie sind nicht weg. Sie sind nur nicht mehr hörbar. "Die Stimme geht in den Untergrund", so Wygotski. Er war überzeugt: "Die innere Stimme von Erwachsenen hat dieselbe Funktion wie das egozentrische Sprechen von Kindern". Sie dient dazu, Pläne auszubrüten und Probleme zu lösen. Sie ist ein Instrument, das uns hilft, das Leben zu meistern.
Wenn die innere Stimme zum inneren Kritiker wird – und belastet
Lew Wygotski betonte vor allem den sozialen Ursprung und die konstruktive Funktion der inneren Stimme. Sie kann sich aber auch von einer ganz anderen Seite zeigen. Unangenehm, abwertend und destruktiv: Die innere Stimme wird dann zum inneren Kritiker.
Der innere Kritiker erinnert an ein Konzept aus der Psychoanalyse von Sigmund Freud: das Über-Ich. Es ist unser moralisches Gewissen, geprägt durch die Erziehung und die Gesellschaft. Das Über-Ich ist eine Instanz, an der wir unser Verhalten messen. Und wenn wir seinen Ansprüchen nicht gerecht werden, entstehen Scham- und Schuldgefühle.
In den 1960ern entwickelten Psychologen daraus das Modell der "inneren Antreiber" – gemeint sind fünf Grundüberzeugungen:
- Sei perfekt!
- Beeil Dich!
- Streng Dich an!
- Sei stark!
- Sei beliebt!
Beide Konzepte – das Über-Ich und die inneren Antreiber – überschneiden sich mit den neuen Erkenntnissen zur inneren Stimme. So hat eine polnische Studie mit rund 200 Studierenden vier Typen von inneren Stimmen gefunden:
- Treue Freundin
- Hilfloses Kind
- Stolze Konkurrentin
- Ambivalente Eltern
Das sind Versuche, dem Ganzen ein System zu geben.
Werkzeugkasten gegen Grübelschleifen
Aber wie kann man mit den kritischen inneren Stimmen einen guten Umgang finden? Das ist das Forschungsgebiet von Ethan Kross, Psychologieprofessor an der University of Michigan. Er hat einen Werkzeugkasten gegen solche Grübelschleifen entwickelt und online gestellt. Einige seiner Tricks:
- Sich selbst mit "Du“ ansprechen – das schafft Distanz
- Einen Spaziergang machen – die Naturerfahrung hilft, negative Emotionen im Griff zu behalten
- Mentale Zeitreise – dabei stellt man sich vor, wie man in Zukunft über den jetzigen Moment denken wird.
Wenn die innere Stimme zum Wahn wird: Therapieansätze
Manchen Menschen gelingt es nicht, die innere Stimme in Schach zu halten. Sie zermartert ihnen den Kopf, wird zum Folterinstrument. Während gesunde Menschen wissen, dass ihre innere Stimme aus ihnen selbst kommt, glauben viele Menschen mit Schizophrenie, dass die Stimmen real sind, dass also wirklich jemand anderes spricht.
- Neurotechnologie: starke Magnetfelder
Surjo Soekadar ist Professor für klinische Neurotechnologie an der Charité in Berlin. Zu ihm kommen Menschen, die eine schwere Depression haben oder von Wahnvorstellungen heimgesucht werden, oft verbunden mit eindringlichen Stimmen. Er weiß, was dabei im Kopf passiert: Hinter der linken Schläfe in der Großhirnrinde liegt das sogenannte Broca-Areal. Das steuert den Sprechapparat. Selbst wenn wir die Worte nicht aussprechen, ist das Broca-Areal aktiv. Die anderen beiden Areale, die für das Verständnis der inneren Stimme wichtig sind, sind die Heschl'sche Querwindung und das Wernicke-Zentrum. Die liegen hinter dem linken Ohr und dienen dem Hören und Verstehen. Prof. Soekadar erläutert, dass man sich vorstellt, …
Zwischen dem Sprechzentrum und dem Hörzentrum gibt es eine Art Datenleitung, einen Nervenstrang. Mit der Kopie der geplanten Sätze signalisiert das Sprechzentrum dem Hörzentrum: Achtung, die Sprache, die du gleich empfangen wirst, kommt von uns selbst. – Es ist eine Feedbackschleife zur Selbstüberwachung.
Wie kann man betroffenen Menschen helfen? Das Team um Prof. Soekadar will eine Therapie entwickeln und arbeitet mit starken Magnetfeldern. Patientinnen und Patienten, die unter Stimmenhören leiden, werden im Stundentakt starken Magnetimpulsen ausgesetzt. Volle Breitseite gegen Sprech- und Hör-Areal, acht Stunden am Tag, fünf Tage in Folge. Die Magnetimpulse sind jeweils kürzer als eine Millisekunde. Sie sollen die Nervenzellen dazu anregen, unheilvolle Verbindungsmuster aufzulösen und neue zu knüpfen. Wenn sich das Gehirn neu sortieren muss, so die Hoffnung, werden die aufdringlichen Stimmen leiser.
Die Therapie ist noch in der Versuchsphase. Die Daten, die jetzt gesammelt werden, müssen zeigen, ob die Stimmen dauerhaft leiser werden oder sogar verschwinden – und welche Nebenwirkungen es gibt.
- Psychologie: Relating-Therapie
Einen ganz anderen Ansatz verfolgen Psychologinnen an der Universität Hamburg. Hier wird nicht mit Magneten experimentiert, sondern mit Worten. Die Methode heißt Relating-Therapie und wird seit 2023 von mehreren Universitäten in einer Studie erprobt.
Die Idee der Relating-Therapie ist es, die Stimmen, die man hört, so zu betrachten wie echte Personen. Man stellt in einer der ersten Sitzungen gemeinsam mit der Therapeutin eine Liste auf.
Tania Lincoln ist Psychologieprofessorin an der Universität Hamburg und erläutert ihre Methode:
Die Patienten üben dann Verhaltensweisen ein, die sie sowohl gegenüber Menschen als auch gegenüber den Stimmen abrufen sollen. Auf Aggression nicht aggressiv reagieren, aber auch nicht unterwürfig und den Ärger in sich reinfressen. Sondern versuchen, mit einer selbstsicheren Haltung zu widersprechen.
Ein Teilnehmer der Studie ist Martin Kraft. Er ist 52 Jahre alt und hört schon sein halbes Leben lang Stimmen. Er nimmt Psychopharmaka gegen seine Wahnvorstellungen, aber die Stimmen gehen davon nicht weg. Was hat er in der Therapie gelernt? Wie soll er mit den Stimmen umgehen?
Die Stimmen reden zwar meistens trotzdem weiter. Aber Martin Kraft wird nicht mehr so wütend.
In der Pilotstudie mit 70 Teilnehmenden hat die neue Therapie vielversprechende Ergebnisse erzielt. Die Belastung durch das Stimmenhören nahm deutlich ab – stärker als bei einer Patienten-Vergleichsgruppe, die eine Standard-Verhaltenstherapie bekommen hatte. Nun soll die Methode mit einer größeren Anzahl von Betroffenen getestet werden.