JetztMusik - Glossar

Stille

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"Silence is sexy", raunten Ende der 1990er Jahre die Musiker der Band Einstürzende Neubauten und trafen damit ein zentrales Thema der Neuen Musik, der Klangkunst und der Ars Acustica. Viele ihrer Werke sparen weder am "stillen" Sujet noch an „stillen“ Titeln. Die Sehnsucht nach Stille, nach Leisigkeit, nach Schweigen, nach Ruhe, nach Klängen an der Grenze des Hörbaren war vor allem in den 1980er und 1990er Jahren groß. Sie fand und findet ihren Niederschlag in besonders leisen Stücken mit mehrfachem pianissimo, mit vielen und langen Pausen, mit Schlussbildungen, die aus dem Nichts kommen und ins Nichts gehen (dal niente, al niente), die ganz behutsam verenden (= morendo) oder ausgeblendet werden (fade-out).

"Silence", das englische Wort für Stille, das John Cage geprägt hat, meint indes nicht die Abwesenheit von Klang, sondern die Absichtslosigkeit von Klängen, also jene Geräusche, die uns tagtäglich umgeben, ohne dass wir selbst sie absichtsvoll produzieren. Schließlich ist es nirgends wirklich still, irgendetwas klingt immer (Rauschen). Stille ist ein Allerweltswort, im Deutschen belegt seit dem 8. Jahrhundert, aus den Lexika unserer Zeit allerdings längst verschwunden. So selbstverständlich scheint die Stille geworden zu sein. Stille und Spiritualität greifen oft eng ineinander.

"Silent Prayer", "stilles Gedicht" – so wollte John Cage Ende der 1940er Jahre eine Komposition nennen, die er allerdings nicht realisiert hat. Stattdessen schrieb er 1952 das von ihm so genannte "Stille Stück", weltberühmt geworden unter dem Titel "4'33". Es besteht nur aus der Spielanweisung: "Tacet, Tacet, Tacet". Der Interpret hat bei der Aufführung des Werkes nichts anderes zu tun, als nichts zu tun – er schweigt. Diese Inszenierung der Stille treibt seither Generationen von Musikern und Künstlern um, Selbiges oder Ähnliches zu unternehmen. Cages „Stilles Stück“ ist maßgeblich u. a. für das Werden der Ars Acustica und der Klangkunst. Es hat die Ohren geöffnet, fortan anders zu hören, anders und andere Kunst zu machen. Bis heute ist Cages „Nicht“-Stück 4‘33‘‘ Meilenstein und Steinbruch zugleich. Zwar hat Cage die Stille nicht erfunden, aber er hat sie für uns wiedergefunden und ihre Bedeutung erweitert.

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Autor/in
SWR