Vermutlich das Reizwort der neueren Musikgeschichte. Im Serialismus treffen sich höchster Anspruch seiner Vertreter und größter Widerspruch von außen: die Vorstellung einer zeitlos gültigen, grundsätzlichen Neuordnung der Musik und der Vorwurf sinnenfeindlicher Esoterik.
Nach französisch la série = die Reihe bezeichnet Serialismus ein kompositorisches Prinzip, das die musikalischen Bausteine (oder Parameter) in Reihen ordnet: Tonhöhen, Dauern, Lautstärken, Klangfarben und verschiedene Arten der Klangerzeugung
lassen sich bestimmen, indem jedem Ton, jedem Lautstärkegrad usw. eine Zahl zugeordnet wird. Die Auswahl dieser Zahlen geschieht nach mathematischen Prinzipien. In der Regel erstellt der Komponist zunächst eine Grundreihe aus den Zahlen von 1 bis 12, die dann Veränderungen, Permutationen etc. unterworfen wird. Das Ergebnis dieser Zahlenoperationen, z. B. ein mathematisches Quadrat, bildet die Grundlage der Komposition.
Nicht zufällig entstand der Serialismus in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, wenngleich die Faszination für die Zahl kulturhistorisch viel tiefer wurzelt. Viele Komponisten suchten nach neuen, politisch möglichst unbelasteten musikalischen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten. Durch die klare Ordnung des Materials nach Zahlen schien eine beinahe „objektive“ Musik möglich. Zugleich bemühte man sich um die Avantgarde der 1920er Jahre. Die Zwölftontechnik der Zweiten Wiener Schule und vor allem Anton Weberns ausgeklügelte Tonhöhen-Organisation rückten in den Mittelpunkt des Interesses. Eine einflussreiche Gruppe von Komponisten erhob gar den Anspruch, der Serialismus sei allein historisch notwendig und wegweisend. „Wir […] erklären: Nach der Entdeckung der Wiener ist jeder Komponist außerhalb der Reihenforschungen ‚unnütz’.“, schrieb Pierre Boulez in seinem berühmt gewordenen Aufsatz Schoenberg is dead, der 1952 in der englischen Musikzeitung The Score veröffentlicht wurde. Von Boulez stammt mit Structures 1a für zwei Klaviere (1951; auf Reihen aus Olivier Messiaens Mode de valeurs et d’intensités, 1949) auch eines der frühesten seriellen Werke.
Zentrum der Entwicklung und Verbreitung, aber auch der kritischen Diskussion der seriellen Musik waren die Darmstädter Ferienkurse. Neben Boulez entwickelten Karel Goeyvaerts, Karlheinz Stockhausen, Bruno Maderna, Henri Pousseur, Luigi Nono u. a. jeweils unterschiedliche Arbeitsweisen mit seriellen Methoden. Bis in die 1960er Jahre hinein prägte der Serialismus
das musikalische Denken in weiten Teilen Europas und den USA. Serialismus wurde zur akademischen Disziplin: Als Kompositionsvorgabe löste die Methode eine Flut von mehr oder weniger errechneten Stücken aus. Serielle Analysen untersuchten auch frühere Kompositionen, etwa von Bach oder Mozart, auf Reihenstrukturen. Der hohe Abstraktionsgrad und der umfassende Geltungsanspruch der seriellen Ordnungsprinzipien wirken – sei es als Vorbild oder als Reibungsfläche – bis in spätere Jahrzehnte der Neuen Musik hinein. Bis heute, so scheint es, finden viele Komponisten ihre ästhetische Position in Fortführung oder Abgrenzung zur Idee des Serialismus (Neue Komplexität, Postmoderne).