JetztMusik - Glossar

Sprachkomposition

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Die phonetischen Bestandteile von Sprache(n) als kompositorisches Material zu verwenden, die physikalischen Eigenschaften der Laute wie einzelne Klänge und Instrumentalfarben einzusetzen, ist ein Aspekt der Neuen Musik seit Ende der 1950er Jahre. Es geht dieser neuartigen Vokalmusik nicht um traditionelle Textvertonungen, sondern um die eigenständigen Farb- und Klangwerte von Silben und Phonemen sowie den aus Überlagerungen resultierenden Mischklängen. Meist ist der zugrunde liegende Text, sofern dieser nicht ohnehin nur aus Lauten besteht, nicht mehr als solcher erkennbar. Frühe und bedeutende Beispiele von Sprachkompositionen sind Karlheinz Stockhausens Gesang der Jünglinge (1955/56), György Ligetis Aventures/Nouvelles Aventures (1962/65), Mauricio Kagels Anagramma (1957/58), Luciano Berios Thema (Omaggio a Joyce) (1958), Herbert Eimerts Epitaph auf Aikichi Kuboyama (1962) und Dieter Schnebels glossolalie (1959/60). Wesentlich angeregt wurde und wird die Produktion von Sprachkompositionen durch Forschungserträge der Linguistik und durch die experimentelle Literatur, die ihrerseits an der Musikalisierung der literarischen Sprache arbeitet und gearbeitet hat. Beispiele hierfür sind Kurt Schwitters‘ Ur-Sonate (1923-32) und Werke des Dadaismus, James Joyces Finnegan‘s Wake (1939), Hans G Helms‘ aus mehr als dreißig Sprachen bestehender Roman Fa:m‘ Ahniesgwow (1959), von dem einige Strukturen im Kölner Studio für elektronische Musik als Hörversion produziert wurden, Henri Chopins Audiopoesie und andere Werke der Lautpoesie, viele Produktionen der Ars Acustica, etwa von Ferdinand Kriwet und Gerhard Rühm. In Sprachkompositionen, manchmal auch Sprachmusik oder, so der Urheber eher Literat ist, Autoren-Musik genannt, sind die Grenzen zwischen Musik und Literatur aufgehoben.

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Autor/in
SWR