Buch-Tipp

Reinhard Goebel: „Der Kopf macht die Musik“: Neuveröffentlichung der Extraklasse

Stand
Autor/in
Georg Waßmuth

Der Violinist, Dirigent und Professor für historische Aufführungspraxis Reinhard Goebel ist mit Sicherheit einer der wichtigsten Impulsgeber der deutschen Musikszene. Aus einem Bündel von Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte hat Hans-Joachim Wagner nun eine repräsentative Neuveröffentlichung vorgelegt.

Essays, Interviews und Würdigungen

Der Charakterkopf Reinhard Goebel liefert auf 258 Seiten Klartext. Es handelt sich dabei um keine musiktheoretischen Abhandlungen, sondern um kurzweilige Essays über Komponisten und ihre Werke, abgerundet. Dazu kommen Interviews mit Goebel und Würdigungen, die über ihn geschrieben worden sind.

Dabei folgt das Buch chronologisch Goebels Karriereweg. 33 Jahre war das Ensemble Musica Antiqua Köln sein Medium. Es ist vielleicht das einflussreichste Barockensemble, das je in Deutschland gegründet wurde. Goebel hatte die Idee, suchte sich Mitstreiter und ging an den Start.  

Reinhard Goebel & Musica Antiqua Köln – Telemann: Sonata in E Minor (Septett), TWV 50:4:4.Tendrement

Mit spitzer Feder geschrieben

Nach den ersten beiden Kapiteln zur persönlichen Positionsbestimmung, löst das Buch seinen Titel „Der Kopf macht die Musik“ mit aller Kunstfertigkeit ein. Werken von Telemann, Händel, Bach und vielen anderen sind zahlreiche Essays gewidmet und stets mit spitzer Feder geschrieben.

Immer zeichnet Goebel eine Art Sittengemälde: Wann, wo und warum wurde ein herausragendes Stück komponiert und was gilt es hinter dem Notentext zu entdecken. 

Reinhard Goebel ist im besten Sinn ein „Übertreibungskünstler“. Dort, wo andere zaghaft anklopfen, rüttelt er an den Grundfesten unserer Hörgewohnheiten und stellt vieles erst einmal in Frage. 

Gegen Routine und Bequemlichkeit

So ist auch seine Wirkmächtigkeit über die Jahrzehnte zu verstehen. Routine und die Bequemlichkeit, etwas zu machen, weil „man“ es schon immer so machte – das war und ist ihm zutiefst fremd. Seine „Musikgeschichten“ sind deshalb erhellend und das reinste Lesevergnügen. Doch auch persönlich kann man den Macher ausführlich kennenlernen. 

„Ich habe sehr spät angefangen, Musik zu machen. Mit zehn Jahren habe ich so eine Blockflöte an den Hals bekommen. Aber selbst als ich Blockflöte spielte, wusste ich eigentlich schon: Ich möchte gerne Geiger werden, obwohl ich noch nie eine Geige gesehen hatte.“ 

Persönliche Interviews

Vier große Interviews, die über vier Jahrzehnte geführt wurden, runden diese Neuerscheinung ab. Im Zwiegespräch schlägt Reinhard Goebel einen ganz anderen Ton an und reflektiert über sein Tun und seine Beweggründe.

Er gesteht persönliche Verletzungen, redet offen über seine Erkrankung und die Entfremdung von seinem Ensemble. Klar wird: ein umgänglicher Typ war Goebel nie. Bis heute ist er eher ein Getriebener, der sein Verständnis von Musik mit allen gebotenen Mitteln umsetzt:

„Es gibt Orchester, die beurteilen Dirigenten unglaublich hart und mies, und wenn Sie so eines vor sich haben, müssen Sie genau so giftig sein und dann vielleicht sagen: ‚Meine Damen und Herren, Sie haben mich eingeladen und wenn Sie meine Kompetenz nicht zu würdigen wissen, können wir hier auch ein halbes Pfund Gehacktes mit einem Namensschildchen aufstellen.‘“

Reinhard Goebel im SWR-Studio
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Profundes Wissen vorausgesetzt

„Der Kopf macht die Musik“ ist kein Buch für Musikflaneure, die mal eben ein wenig unterhalten werden wollen. Es setzt ein profundes Interesse voraus und wendet sich an Leserinnen und Leser, die mehr über Musik erfahren wollen, als dahin geschriebene Plattitüden.

Zu verdanken ist das sicher auch dem Herausgeber Hans-Joachim Wagner, der die Fülle des Materials unter einem einzigen Spannungsbogen strukturierte. „Der Kopf macht die Musik“ ist jedenfalls eine Neuveröffentlichung der Extraklasse, nicht mehr und nicht weniger.

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