Zum Text
Den Text von „Ich steh an deiner Krippen hierr“ dichtete der lutherische Pfarrer Paul Gerhardt; erstmals gedruckt wurde er 1653 in Johann Crügers Gesangbuch „Praxis Pietatis Melica“ (Übung der musikalischen Frömmigkeit). Der Dreißigjährige Krieg war damals gerade ein paar Jahre lang vorüber, die Verwüstungen noch sichtbar, der Schrecken und die Armut noch spürbar. Der Herrscher der Welt, der Friedensfürst wird in ärmlichste Verhältnisse hineingeboren – diese Kluft berührte die Menschen damals unmittelbar. In 15 Strophen (heute wird meist nur noch ein Bruchteil davon gesungen) malt Gerhardt die Szenerie sprachgewaltig aus und unternimmt gleichzeitig einen Rundgang durch die Heilsgeschichte: mit jedem Bild, das er schildert, verweist er auf die Erlösung, die Christus den Menschen bringt.
Der Text von Paul Gerhardt
(fettgedruckt: die Strophen, die das SWR Vokalensemble in unserer Aufnahme singt.
1. Ich steh an deiner krippen hier /
O Jesulein mein leben /
Jch komme / bring und schencke dir /
Was du mir hast gegeben.
Nim hin es ist mein geist und sinn /
Hertz / seel und muth / nimm alles hin
Vnd laß dirs wol gefallen.
2. Du hast mit deiner lieb erfüllt
Mein adern und geblüte /
Dein schöner glantz / dein süsses bild
Ligt mir gantz im gemüthe /
Vnd wie mag es auch anders seyn /
Wie könt ich dich / mein Hertzelein /
Aus meinem hertzen lassen?
3. Da ich noch nicht geboren war /
Da bist du mir geboren /
Vnd hast mich dir zu eigen gar /
Eh ich dich kant / erkohren /
Eh ich durch deine hand gemacht /
Da hast du schon bey dir bedacht /
Wie du mein woltest werden.
4. Ich lag in tiefster todesnacht /
Du warest meine Sonne /
Die Sonne / die mir zugebracht
Liecht / leben / freud und wonne.
O Sonne / die das werhte liecht
Des glaubens in mir zugerichtt /
Wie schön sind deine strahlen!
5. Ich sehe dich mit freuden an /
Vnd kan mich nicht satt sehen /
Vnd weil ich nun nicht weiter kan /
So thu ich / was geschehen:
O daß mein sinn ein abgrund wär /
Vnd meine seel ein weites meer /
Daß ich dich möchte fassen!
6. Vergönne mir / o Jesulein /
Daß ich dein mündlein küsse /
Das mündlein / das den süssen wein /
Auch milch und honigflüsse
Weit übertrifft in seiner krafft /
Es ist voll labsal / stärck und safft /
Der march und bein erquicket.
7. Wann offt mein hertz im leibe weint /
Vnd keinen trost kan finden /
Da rufft mirs zu / ich bin dein freund /
Ein tilger deiner sünden:
Was traurest du mein brüderlein?
Du solt ja guter dinge seyn /
Jch zahle deine schulden.
8. Wer ist der meister / der allhier
Nach würdigkeit außstreichet
Die händlein / so das Kindlein mir
Anlachende zureichet /
Der schnee ist hell / die milch ist weiß /
Verlieren doch beyd jhren preis /
Wann diese händlein blicken.
9. Wo nehm ich weißheit und verstand
Mit lobe zu erhöhen
Die äuglein / die so unverwandt
Nach mir gerichtet stehen:
Der volle Mond ist schön und klar /
Schön ist der güldnen sternen schaar /
Dies äuglein sind viel schöner.
10. O daß doch so ein lieber stern
Sol in der krippen ligen!
Für edle kinder grosser Herrn
Gehören güldne wiegen.
Ach heu und stroh ist viel zu schlecht /
Sammt / seyden / purpur wären recht
Dis kindlein drauf zu legen.
11. Nehmt weg das stroh / nehmt weg das heu /
Jch wil mir blumen holen /
Daß meines Heylands lager sey
Auf lieblichen violen /
Mit Rosen / Nelcken / Rosmarin
Aus schönen gärten wil ich jhn
Von oben her bestreuen.
12. Zur seiten wil ich hier und dar
Viel weisser Liljen stecken /
Die sollen seiner äuglein paar
Jm schlafe sanft bedecken:
Doch liebt vielmehr das dürre gras
Dis Kindelein / als alles das /
Was ich hier nenn und dencke.
13. Du fragest nicht nach lust der welt /
Noch nach des leibes freuden /
Du hast dich bey uns eingestellt
An unsrer stat zu leiden /
Suchst meiner seelen herrlichkeit
Durch elend und armseligkeit /
Das wil ich dir nicht wehren.
14. Eins aber hoff ich wirst du mir /
Mein Heyland / nicht versagen /
Daß ich dich möge für und für
Jn / bey und an mir tragen:
So laß mich doch dein kripplein seyn /
Komm / komm und lege bey mir ein
Dich und all deine freuden.
15. Zwar solt ich dencken / wie gering
Jch dich bewirthen werde /
Du bist der Schöpffer aller ding /
Jch bin nur staub und erde:
Doch bist du ein so frommer gast /
Daß du noch nie verschmähet hast
Den / der dich gerne siehet.
Marcus Creed
Von 2003 bis 2020 war Marcus Creed künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles. Geboren und aufgewachsen an der Südküste Englands, studierte er am King's College in Cambridge, der Christ Church in Oxford und der Guildhall School in London. 1977 kam er nach Berlin, wo er u.a. an der Deutschen Oper Berlin als Repetitor und später Chordirektor arbeitete und die Gruppe Neue Musik und das Scharoun Ensemble als Pianist und Dirigent verstärkt hat. 1987 wurde er zum künstlerischen Leiter des RIAS-Kammerchores ernannte, der unter seiner Leitung zahlreiche internationale Auszeichnungen wie den Edison Award erhielt.
Die Zusammenarbeit mit der Akademie für Alte Musik Berlin, dem Freiburger Barockorchester und Concerto Köln wurden wesentlicher Bestandteil seiner Konzerttätigkeit. Er trat bei den Berliner Festwochen, Wien Modern, den Salzburger Festspielen und Festivals in Montreux, Edinburgh, Luzern und Innsbruck auf. 1998 folgte er einem Ruf auf eine Dirigierprofessur an der Musikhochschule Köln.
SWR Vokalensemble
Bereits vor 70 Jahren gründete sich das SWR Vokalensemble als Kammerchor von Radio Stuttgart. Dreizehn Sängerinnen und Sänger sangen von einfachen Volksliedern bis hin zu Operetten und Opern für den Sendebetrieb. Geleitet und geformt durch diverse künstlerische Leiter, arbeitete sich der Chor unter Marinus Voorberg in den 1970ern an die Spitze der A-cappella-Chöre. Das Programm änderte sich, hinzu kamen immer mehr Werke des 19. und 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, mit denen sich das Ensemble auch im internationalen Ranking einen Namen machte.
Heute steht das SWR Vokalensemble für Innovation. Es erfindet sich immer wieder neu, setzt sich im Rahmen der SWR Musikvermittlung für die Vermittlung von klassischer Musik bei Kindern und Jugendlichen ein und wurde sowohl im Rahmen von Wettbewerben als auch für seine Produktionen mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Echo Klassik oder dem Europäischen Chorpreis.