Musikstück der Woche vom 14.03.2016

Sturm-Gesänge

Stand
Autor/in
Annette Eckerle

Frank Martin: Songs of Ariel from Shakespeare’s "Tempest"

2016 ist Shakespeare-Jahr - das Musikstück der Woche klingt mit: Fünf Lieder aus dem "Sturm", gesungen vom Luftgeist Ariel, vertont von dem Schweizer Komponisten Frank Martin. Das SWR Vokalensemble Stuttgart singt unter Leitung seines Chefdirigenten Marcus Creed, die Aufnahme entstand 2012 in der Evangelischen Kirche Stuttgart-Gaisburg.

Immer im natürlichen Sprachrhythmus

Neun Geschwister!

Frank Martin wird 1890 als zehntes und letztes Kind einer schweizerischen Pfarrersfamilie mit calvinistischem Hintergrund geboren. In der Familie wird viel musiziert. Ohne musiktheoretischen Unterricht genossen zu haben, komponiert Martin im Alter von neun Jahren sein erstes Stück, das Kinderlied "Tête de Linotte". Und schon in diesem Erstling zeigt sich seine ausgeprägte Sensibilität für die Zusammenhänge von Sprachrhythmus und Klangfarbe.

Den Eltern zuliebe: etwas Ordentliches lernen ...

Von 1906 an erhält Martin bei Joseph Lauber Unterricht in Klavier, Harmonielehre, Komposition und Instrumentation. Hier genießt er eine erstklassige Ausbildung:

Schon im Alter von 16 Jahren ist Martin davon überzeugt, dass er als Komponist etwas zu sagen hat. Trotzdem studiert er von 1908 bis 1910 Mathematik und Physik an der Universität Genf – seinen Eltern zuliebe. Einen Abschluss macht er aber nicht.

... aber dann doch: Musik!

1910 wird er Mitglied des Schweizer Tonkünstlervereins, im selben Jahr, in dem seine Komposition "Trois poèmes païens" (Drei heidnische Gedichte) beim Schweizer Tonkünstlerfest in den Konzertplan aufgenommen wird. Beflügelt von diesem Erfolg, widmet sich Martin nun ausschließlich der Musik. Beim Schweizer Tonkünstlerfest 1918 in Lausanne bringt der Dirigent Ernest Ansermet die "Dithyrambes" von Martin zur Uraufführung. Ansermet wird in schon dieser Komposition die Züge entdecken, die den reifen Stil Martins prägen werden:

Zwar wird es bis zu der Oper "Le vin herbé" (Der Zaubertrank) und damit bis zum eigentlichen Personalstil Martins noch Jahrzehnte dauern – die Uraufführung dieser Oper findet 1942 in Zürich statt – doch Martin gelangt ans Ziel. Manch einer würde sagen, auf Umwegen. Genau besehen handelt es sich um ein selbstbewusstes Erproben diverser Strömungen in der Musik der Zeit. In den 1920er Jahren sammelt Martin mit zwei Auftragswerken für die Comédie Genève Erfahrung in der kompositorischen Übertragung von antiken Versmaßen auf den französischen Sprachrhythmus. In den Jahren 1926 bis 1928 studiert er rhythmische Probleme bei dem Schweizer Pädagogen Jaques Dalcroze.

Songs of Ariel from Shakespeare's "Tempest"

Zu Beginn der 1930er Jahre wird Martin als Komponist von lokaler Bedeutung wahrgenommen. Er ist zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einer reicheren und zugleich einfach verständlichen Musiksprache und setzt sich intensiv mit Schönbergs Zwölftontechnik auseinander. Für seine eigene Arbeit dient ihm aber nach wie vor sein so genanntes "Tonalitätsgefühl" zur Orientierung. Damit verknüpft ist eine weitere Maxime Martins, der zufolge Musik stets Ausdruck von Schönheit sein solle. Martin weiß, dass er damit in Opposition zu Schönberg steht, der von der Kunst verlangt, sie müsse nicht schön, sondern wahr sein. Martins Schönheitsbegriff ist ein religiös-humanistisch motivierter:

William Shakespeare
William Shakespeare (1564 - 1616)

Diese Idee zieht sich durch Martins Werk hindurch wie ein roter Faden, ist auch in seinen musiktheatralischen Arbeiten präsent. So denkt Martin schon geraume Zeit über eine Vertonung von Shakespeares "Sturm" nach, als er 1950 vom Nederlandse Kammerchor und dessen Leiter Felix de Nobel einen Kompositionsauftrag erhält. Martin nutzt die Chance und nähert sich mit fünf Ariel-Chören seinem Traumprojekt an. Die Ariel-Chöre spiegeln auf allen Ebenen Martins Reifestil wieder, dessen Grundcharakteristikum er selbst so beschreibt:

In den Ariel-Chören manifestiert sich dieses Kompositionsverständnis, indem zum Teil nur aus Silben generiert Klangbilder und Geräuschkulissen erzeugt werden, verstärkt durch Rhythmik, wechselnde Tempi und eine ständig changierende Harmonik, wobei der Text auf vier bis zehn Stimmen verteilt ist.

Text und Übersetzung der "Songs of Ariel"

SWR Vokalensemble Stuttgart

Die Sängerinnen und Sänger vom SWR Vokalensemble Stuttgart stehen, schwarz gekleidet, in einer lockeren Gruppe auf einem Parkettboden
Das SWR Vokalensemble Stuttgart.

Seit vielen Jahren zählt der Rundfunkchor des SWR zu den internationalen Spitzenensembles unter den Profichören und hat im Lauf seiner 70-jährigen Geschichte mehr Uraufführungen gesungen als jeder andere Chor, viele davon unter Leitung von Rupert Huber, der von 1990 bis 2000 Chefdirigent des Ensembles war. Neben der Neuen Musik widmet sich das SWR Vokalensemble vor allem den anspruchsvollen Chorwerken älterer Epochen – insbesondere der Romantik und der klassischen Moderne. Seit 2003 ist Marcus Creed künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles Stuttgart. Unter seiner Leitung wurde das Ensemble für seine kammermusikalische Interpretationskultur und seine stilsicheren Interpretationen vielfach ausgezeichnet, unter anderem dreimal mit dem Echo Klassik und viele Male mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik.

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Annette Eckerle