Immer im natürlichen Sprachrhythmus
Neun Geschwister!
Frank Martin wird 1890 als zehntes und letztes Kind einer schweizerischen Pfarrersfamilie mit calvinistischem Hintergrund geboren. In der Familie wird viel musiziert. Ohne musiktheoretischen Unterricht genossen zu haben, komponiert Martin im Alter von neun Jahren sein erstes Stück, das Kinderlied "Tête de Linotte". Und schon in diesem Erstling zeigt sich seine ausgeprägte Sensibilität für die Zusammenhänge von Sprachrhythmus und Klangfarbe.
Den Eltern zuliebe: etwas Ordentliches lernen ...
Von 1906 an erhält Martin bei Joseph Lauber Unterricht in Klavier, Harmonielehre, Komposition und Instrumentation. Hier genießt er eine erstklassige Ausbildung:
Schon im Alter von 16 Jahren ist Martin davon überzeugt, dass er als Komponist etwas zu sagen hat. Trotzdem studiert er von 1908 bis 1910 Mathematik und Physik an der Universität Genf – seinen Eltern zuliebe. Einen Abschluss macht er aber nicht.
... aber dann doch: Musik!
1910 wird er Mitglied des Schweizer Tonkünstlervereins, im selben Jahr, in dem seine Komposition "Trois poèmes païens" (Drei heidnische Gedichte) beim Schweizer Tonkünstlerfest in den Konzertplan aufgenommen wird. Beflügelt von diesem Erfolg, widmet sich Martin nun ausschließlich der Musik. Beim Schweizer Tonkünstlerfest 1918 in Lausanne bringt der Dirigent Ernest Ansermet die "Dithyrambes" von Martin zur Uraufführung. Ansermet wird in schon dieser Komposition die Züge entdecken, die den reifen Stil Martins prägen werden:
Zwar wird es bis zu der Oper "Le vin herbé" (Der Zaubertrank) und damit bis zum eigentlichen Personalstil Martins noch Jahrzehnte dauern – die Uraufführung dieser Oper findet 1942 in Zürich statt – doch Martin gelangt ans Ziel. Manch einer würde sagen, auf Umwegen. Genau besehen handelt es sich um ein selbstbewusstes Erproben diverser Strömungen in der Musik der Zeit. In den 1920er Jahren sammelt Martin mit zwei Auftragswerken für die Comédie Genève Erfahrung in der kompositorischen Übertragung von antiken Versmaßen auf den französischen Sprachrhythmus. In den Jahren 1926 bis 1928 studiert er rhythmische Probleme bei dem Schweizer Pädagogen Jaques Dalcroze.
Songs of Ariel from Shakespeare's "Tempest"
Zu Beginn der 1930er Jahre wird Martin als Komponist von lokaler Bedeutung wahrgenommen. Er ist zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einer reicheren und zugleich einfach verständlichen Musiksprache und setzt sich intensiv mit Schönbergs Zwölftontechnik auseinander. Für seine eigene Arbeit dient ihm aber nach wie vor sein so genanntes "Tonalitätsgefühl" zur Orientierung. Damit verknüpft ist eine weitere Maxime Martins, der zufolge Musik stets Ausdruck von Schönheit sein solle. Martin weiß, dass er damit in Opposition zu Schönberg steht, der von der Kunst verlangt, sie müsse nicht schön, sondern wahr sein. Martins Schönheitsbegriff ist ein religiös-humanistisch motivierter:
Diese Idee zieht sich durch Martins Werk hindurch wie ein roter Faden, ist auch in seinen musiktheatralischen Arbeiten präsent. So denkt Martin schon geraume Zeit über eine Vertonung von Shakespeares "Sturm" nach, als er 1950 vom Nederlandse Kammerchor und dessen Leiter Felix de Nobel einen Kompositionsauftrag erhält. Martin nutzt die Chance und nähert sich mit fünf Ariel-Chören seinem Traumprojekt an. Die Ariel-Chöre spiegeln auf allen Ebenen Martins Reifestil wieder, dessen Grundcharakteristikum er selbst so beschreibt:
In den Ariel-Chören manifestiert sich dieses Kompositionsverständnis, indem zum Teil nur aus Silben generiert Klangbilder und Geräuschkulissen erzeugt werden, verstärkt durch Rhythmik, wechselnde Tempi und eine ständig changierende Harmonik, wobei der Text auf vier bis zehn Stimmen verteilt ist.
Text und Übersetzung der "Songs of Ariel"
SWR Vokalensemble Stuttgart
Seit vielen Jahren zählt der Rundfunkchor des SWR zu den internationalen Spitzenensembles unter den Profichören und hat im Lauf seiner 70-jährigen Geschichte mehr Uraufführungen gesungen als jeder andere Chor, viele davon unter Leitung von Rupert Huber, der von 1990 bis 2000 Chefdirigent des Ensembles war. Neben der Neuen Musik widmet sich das SWR Vokalensemble vor allem den anspruchsvollen Chorwerken älterer Epochen – insbesondere der Romantik und der klassischen Moderne. Seit 2003 ist Marcus Creed künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles Stuttgart. Unter seiner Leitung wurde das Ensemble für seine kammermusikalische Interpretationskultur und seine stilsicheren Interpretationen vielfach ausgezeichnet, unter anderem dreimal mit dem Echo Klassik und viele Male mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik.
Shakespeares Texte und Schlegels Übersetzungen
1) (Act 1, sc.2) Come unto these yellow sands, And then take hands: Courtsied when you have, and kiss’d, The wild waves whist, Foot it featly here and there; And, sweet sprites, the burthen bear. Hark, hark! The watch-dogs bark; Burthen Bowow! Hark, hark! I hear the strain of strutting chanticleer Cry: Cock-a-diddle dow. | 1) Kommt auf diesen gelben Strand! Fügt Hand in Hand! Wann ihr euch geküsst, verneigt (die See nun schweigt) Hier und dort behende springt, und den Chor, ihr Geister singt! Horch! Horch! (Zerstreute Stimmen.) Wau! Wau! Es bellt der Hund (Zerstreute Stimmen.) Wau! Wau! Horch! Horch! Der Hahn tut seine Wache kund, er kräht; Kikiriki! |
2) (Act1, sc.2) Full fathom five thy father lies, Of his bones are coral made; Those are pearls that were his eyes: Nothing of him that doth fade, But doth suffer a sea-change Into something rich and strange. Sea-nymphs hourly ring his knell: Ding-dong. Hark! now I hear them, ding-dong bell. | 2) Fünf Faden tief liegt Vater dein. Sein Gebein wird zu Korallen, Perlen sind die Augen sein. Nichts an ihm, das soll verfallen, Das nicht wandelt Meeres-Hut In ein reich und seltnes Gut. Nymphen läuten stündlich ihm, Da horch! ihr Glöcklein -- Bim! bim! bim! |
3) (Act 4, sc.1) Before you can say, "Come" and "Go", And breathe twice, and cry, "So, so," Each one, tripping on his toe, Will be here with mop and mow. Do you love me, master? No? | 3) Eh' du kannst sagen: komm und geh, Atem holst und rufst: he he, mach ich wie ich geh und steh, dass hier jeder auf der Zeh' sich im Hokuspokus dreh! Liebst du mich, mein Meister? – Ne. |
4) (Act 3, sc.3) You are three men of sin, whom destiny, That hath to instrument this lower world And what is in't, -- the never-surfeited sea Hath caused to belch up you; and on this island Where man doth not inhabit; you 'mongst men Being most unfit to live. I have made you mad: And even with such-like valour men hang and drown Their proper selves. You fools! I and my fellows Are ministers of fate: The elements Of whom your swords are tempered may as well Wound the loud winds, or with bemocked at stabs Kill the still-closing waters, as diminish One dowl that's in my plume; My fellow-ministers Are like invulnerable. If you could hurt, Your swords are now to massy for your strengths, And will not be uplifted. But, remember -- For that's my business to you, -- that you three From Milan did supplant good Prospero; Exposed unto the sea, which hath requit it, Him, and his innocent child: for which foul deed The powers, delaying, not forgetting, have Incensed the seas and shores, yea, all the creatures, Against your peace. Thee of thy son, Alonso, They have bereft; and do pronounce, by me Ling’ring perdition, -- worse than any death Can be at once, -- shall step by step attend You and your ways; whose wraths to guard you from-- Which here, in this most desolate isle, else falls Upon your heads, -- is nothing but heart-sorrow, And a clear life ensuing. | 4) Ihr seid drei Sündenmänner, die das Schicksal (das diese niedre Welt und was darinnen, als Werkzeug braucht) der nimmersatten See geboten auszuspein; und an dies Eiland, von Menschen unbewohnt, weil unter Menschen zu leben ihr nicht taugt. Ich macht' euch toll. Und grad in solchem Mut ersäufen, hängen sich Menschen selbst. Ihr Toren! Ich und meine Brüder sind Diener des Geschicks; die Elemente, die eure Degen härten, könnten wohl so gut den lauten Wind verwunden oder die stets sich schließenden Gewässer töten mit eitlen Streichen, als am Fittich mir ein Fläumchen kränken. Meine Mitgesandten sind gleich unverwundbar; könntet ihr auch schaden, zu schwer sind jetzt für eure Kraft die Degen und lassen sich nicht heben. Doch bedenkt (denn das ist meine Botschaft) dass ihr drei Den guten Prospero verstießt von Mailand, der See ihn preisgabt (die es nun vergolten) ihn und sein harmlos Kind; für welche Untat die Mächte, zögernd, nicht vergessend, jetzt die See, den Strand, ja alle Kreaturen empöret gegen euren Frieden. Dich, Alonso, haben sie des Sohns beraubt, verkünden dir durch mich: ein schleichend Unheil, viel schlimmer als ein Tod, der einmal trifft, soll Schritt vor Schritt auf jedem Weg dir folgen. Um euch zu schirmen vor derselben Grimm, der sonst in diesem gänzlich öden Eiland aufs Haupt euch fällt, hilft nichts als Herzensleid und reines Leben künftig. |
5) (Act 5, sc.1) Where the bee sucks there suck I: In a cowslip's bell I lie; There I couch when owls do cry. On the bat's back I do fly After summer merrily, Merrily, merrily shall I live now Under the blossom that hangs on the bough. | 5) Wo die Bien‘, saug ich ich mich ein, bette mich in Maiglöcklein, lausche da, wenn Eulen schrein, fliege mit der Schwalben Reihn lustig hinterm Sommer drein. Lustiglich, lustiglich leb ich nun gleich Unter den Blüten, die hängen am Zweig (Übersetzt von August Wilhelm Schlegel) |