Musikstück der Woche vom 28.10.2013

Ton zu Bild - Bild zum Ton

Stand
Autor/in
Kerstin Unseld

Manchmal passiert's: Ein Musikstück erklingt, und wer es hört, der sieht ein Bild. Ein inneres Bild. Mussorgsky ging den umgekehrten Weg: Er sah ein Bild, und was er sah, das klang in ihm wie Musik.

Der Zyklus "Bilder einer Ausstellung" ist Modest Mussorgskys berühmtestes Werk. Bei seinem Konzert am 8. Mai 2013 auf CampusOne Schloss Gottesaue der Musikhochschule Karlsruhe stellte das Fauré-Quartett eine eigene Bearbeitung dieses 'Bild-Ton-Transfers' vor.

Porträt Modest Mussorgskij

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Wie aus einem Bild ein Tongemälde entsteht, welchen künstlerischen Weg Sichtbares nimmt, um hörbar zu werden, das ist eine Frage, mit der sich viele Komponisten und bildenden Künstler auseinander gesetzt haben. Ein schönes Beispiel - und dazu noch ein besonders sinnfälliges - ist der Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung", die Modest Mussorgsky nach zehn Bildern seines Künstlerfreundes Viktor Hartmann komponierte. Mit vier kleinen „Promenaden“ vertonte Mussorgsky zudem den Gang, den der Betrachter von einem Bild zum anderen macht, wenn er in einer Ausstellung umhergeht. Aber in welcher Stimmung geht man umher? Die Eindrücke der Bilder werden mitgetragen, nie geht man gleichen Schritts weiter. Auch Mussorgsky tut das - musikalisch – nicht. Jede Wiederholung der kleinen Passage hat einen anderen Charakter, greift die Bildstimmung auf.

Hartmanns Bilder, Figurinenzeichnungen und Bühnenbildentwürfen sind uns fast ausschließlich in ihrer "Übersetzung" in Tonbilder überliefert. Überhaupt ist uns in Westeuropa der Künstler und Architekt Hartmann wenig bekannt. Als sich Mussorgsky 1873 zum letzten Mal mit dem Viktor Hartmann traf, erlitt dieser einen Schwächeanfall. Die befreundeten Künstler hatten sich über den neuen russischen Stil im Bauwesen unterhalten, viel verband sie in ihrer Ansicht darüber, was russische Kunst zu leisten habe und wie sie die russische 'Seele' ausdrücken könne. Kurz nach diesem Gespräch starb Hartmann – und Mussorgsky, tief betroffen, schrieb einen Nachruf auf seinen Freund in den "Petersburger Nachrichten".

Als im Folgejahr eine Gedenkausstellung für Hartmann stattfinden sollte, in der etwa vierhundert Werke, darunter die frühen Buchillustrationen, Reiseskizzen, Architektur- und Kostümentwürfe von Hartmann gezeigt wurden, wollte auch Mussorgsky Anteil daran nehmen. Künstlerischen Anteil. In einem enormen Schaffensrausch komponierte er seine Klaviersuite "Bilder einer Ausstellung", und vor dem Satz "Con mortuis in lingua mortua" schrieb er eine Notiz in die Partitur: "Der lateinische Text lautet: mit den Toten in einer toten Sprache. Was besagt schon der lateinische Text? – Der schöpferische Geist des verstorbenen Hartmann führt mich zu den Schädeln und ruft sie an; die Schädelleuchten sanft auf."

So, wie sich Mussorgsky beherzt daran machte, Hartmanns Bilder zu bearbeiten und aus ihnen kleine Tongemälde zu machen, so wurde auch sein origineller Zyklus von ursprünglich für Klavier komponierten kurzen Programmmusik-Stücken vielfach bearbeitet worden. Die bekannteste ist die Orchesterversion, die Maurice Ravel 1922 vornahm. Aber es gibt auch andere Fassungen für Sinfonieorchester z.B. von Nikolai Rimsky-Korsakow, von Leopold Stokowski und auch von VLadimir Askenazy. Ein bearbeitungstechnischer Sonderfall ist die Klavierfassung von Vladimir Horowitz, der Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" gerne spielte, sie allerdings für zu einfach befand und sie sich mit allerhand zusätzlichen Schwierigkeiten fürs Klavier zurechtlegte. Die Fassung, die das Fauré-Quartett spielt, ist auch durch die Künstler 'selbstgemacht' und in ihrer Besetzung für Klavierquartett eine Bereicherung im Kanon interessanter Bearbeitungen.

Fauré Quartett

Es ist ein Lob, das adelt: "Wer das Fauré Quartett hört, möchte es wieder hören", sagte die argentinische Pianistenlegende Martha Argerich nach einem Konzert des Fauré Quartetts in Karlsruhe. An der dortigen Musikhochschule trafen sich die vier Musiker als Studierende, und 1995, als sich der Geburtstag des Komponisten Gabriel Fauré zum 150. Mal jährte, wählten sie aus Liebe zu den beiden Klavierquartetten Faurés dessen Namen auch für ihr Ensemble. Der Karlsruher Musikhochschule ist das Fauré Quartett nach wie vor verbunden, heute als "Quartet in Residence", - einer Auszeichnung, die in Karlsruhe seit 30 Jahren nicht vergeben wurde und für ein Klavierquartett ein Novum darstellt.
Heute konzertiert das Fauré Quartett, welches mittlerweile als eines der renommiertesten deutschen Kammermusikensembles gilt, auf den wichtigsten internationalen Podien und Festivals, wie dem Schleswig-Holstein- Musikfestival, Rheingau-Musik-Festival, Schwetzinger Festspiele, Ludwigsburger Festspiele, Martha Argerich Festival Buenos Aires, Festival de Radio France et Montpellier, Kuhmo Chamber Music Festival, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Kissinger Sommer, Festival de l'Orangerie de Sceaux und anderen.
Nach dem 2005 erfolgten Plattenvertrag des Fauré Quartetts mit der Deutschen Grammophon wurden zum Mozartjahr die beiden Klavierquartette des Komponisten veröffentlicht. Im Februar 2008 erschien zudem die neueste CD mit den Klavierquartetten op. 25 und op. 60 von Johannes Brahms, für die das Fauré Quartett mit einem „Klassik-Echo“ ausgezeichnet wurde. Überhaupt wird das Fauré Quartett längst von Publikum und Kritik als das weltweit führenden – feste  Klavierquartett betrachtet und ihm im Bereich der Gattung Klavierquartett eine Pionierrolle zuerkannt. Die Preise, Ehren und Auszeichnungen, die es erhielt, wurden vorher keinem anderen Klavierquartett zuteil. Darunter zählen neben dem Echo Klassik 2008 auch der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, sowie u.a. der Parkhouse Award London, der Preis des Deutschen Musikwettbewerbes, der 1. Preis des Deutschen Hochschulwettbewerbs und der Kunstpreis des Landes Rheinland Pfalz.
Von Beginn an und damit seit fast 15 Jahren spielt das Fauré Quartett in der Besetzung mit Erika Geldsetzer aus Betzdorf (Violine), dem Bratscher Sascha Frömbling (geboren 1974 in Mexico City), dem Cellisten Konstantin Heidrich (1975 in Hamburg als Sohn des Geigers und Komponisten Peter Heidrich geboren) und dem Pianist Dirk Mommertz aus Mainz. Die vier Musiker bringen mit Kinderkonzerten und ihrer Initiative "Rhapsody in school" klassische Musik regelmäßig auch Kindern und Jugendlichen nahe. Außerdem unterrichten sie im Rahmen von Professuren und Lehraufträgen an der Royal Academy of Music in London, der Universität der Künste in Berlin, der Essener Folkwang Hochschule und der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden.

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Kerstin Unseld