Musikstück der Woche vom 02.09.2013

Brahms im Werther-Kostüm

Stand
Autor/in
Kerstin Unseld

Blauer Frack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, braune Stulpenstiefel - und drin einer mit einem wunden Herzen und dem Konterfei eines jungen Komponisten. Das sei das Bild zu Opus 60, meinte Brahms.

Als im Mai 2013 der neue CampusOne neben dem Schloss Gottesaue eingeweiht wurde und damit die Musikhochschule Karlsruhe einen neuen Konzertsaal erhielt, gastierte das Fauré-Quartett - der Hochschule durch eigene Studien eng verbunden - im neuen Rihm-Forum mit diesem Klavierquartett c-Moll op. 60 von Johannes Brahms.

Zwei Jahrzehnte Liebesschmerz

Brahms liebte das Hineingeheimnissen: kleine versteckte Botschaften, die nur er oder ein anderer Mensch oder auch niemand sonst verstand. Kleine Zitate oder Hinweise, die nur selten dann so aussagekräftig werden, dass man aus ihnen mehr als eine Vermutung schöpfen oder eben ein Rätsel herumwälzen kann. Seinem Verleger Fritz Simrock jedenfalls schrieb Brahms scherzend, er könne ruhig den Komponisten "im Werther-Kostüm" auf dem Umschlag seines dritten Klavierquartetts abbilden, "außerdem dürfen Sie auf dem Titelblatt ein Bildnis anbringen! Nämlich einen Kopf mit der Pistole davor. Nun können Sie sich ein Bild von der Musik machen. Ich werde Ihnen zu dem Zweck meine Photographie schicken!"

Und das mit der Werther-Stimmung nimmt man Brahms natürlich sofort ab, nachdem man die ersten Takte des Klavierquartetts gehört hat. Der Kopfsatz ist einer der erschütterndsten Moll-Sätze, die Brahms geschrieben hat. Mit dem Wink auf Werther liefert Brahms den biographischen Entschlüsselungs-Code zu jener Gefühlslage, in der er wohl sein drittes Klavierquartett geschrieben haben wird. Verzweifelt in einem Dreiecksverhältnis verheddert. 1875 wurde op. 60 vollendet, aber im Prinzip ist es ein Werk aus Brahms' ersten Tagen als junger Komponist. Die ersten beiden Sätze schrieb er nämlich mit 22 Jahren, kurz nachdem er Robert Schumann und dessen Frau Clara kennengelernt hatte. Überhaupt ist diese Begegnung für alle drei Brahms'schen Klavierquartette von großer Bedeutung: in allen dreien 'schwingt' Clara Schumann mit, ist musikalisch oder gefühlsmäßig für Brahms so präsent, dass sie zu seiner Musik hinzugedacht werden kann. So drücken sich auch alle Facetten verzweifelter Liebe in einer Dreiecksbeziehung darin aus, und zu seinem Klavierquartett c-Moll empfiehlt Brahms selbst: "Denken Sie sich dabei einen, der sich gerade totschießen will und dem gar nicht Anderes mehr übrigbleibt."

Über zehn Jahre später nahm Brahms sich dann die ersten beiden Sätze des Quartetts wieder vor, beriet sich auch mit dem befreundeten Geiger Joseph Joachim und vollendete erst einige Jahre danach das Werk ganz. Zwanzig Jahre Leben stecken also in dieser Komposition, in der Brahms dann abschließend sowohl das 'Schicksalsmotiv' aus Beethovens 5. Sinfonie anklopfen lässt als auch einen Choral, einen ganz leise gehaltenen, verklingenden einbaut. Alwin von Beckerath beschrieb, wie dies bei einer Aufführung der Krefelder Brahms-Freunde 1885 klang: "Brahms spielte prachtvoll mit innigster Empfindung und wir drei taten unser Bestes, ihm darin zu folgen. Bemerkenswert war, wie er im ersten Teil des letzten Satzes das Choralmotiv der Streicher nicht leise genug haben konnte; trotzdem wir schon pp spielten, zischte er noch immer. Es sollte nur wie ein hauch aus weiter Ferne klingen, wie eine Vision. Die Wirkung ist dann allerdings auch ganz erschütternd."

Fauré Quartett

Es ist ein Lob, das adelt: "Wer das Fauré Quartett hört, möchte es wieder hören", sagte die argentinische Pianistenlegende Martha Argerich nach einem Konzert des Fauré Quartetts in Karlsruhe. An der dortigen Musikhochschule trafen sich die vier Musiker als Studierende, und 1995, als sich der Geburtstag des Komponisten Gabriel Fauré zum 150. Mal jährte, wählten sie aus Liebe zu den beiden Klavierquartetten Faurés dessen Namen auch für ihr Ensemble. Der Karlsruher Musikhochschule ist das Fauré Quartett nach wie vor verbunden, heute als "Quartet in Residence", - einer Auszeichnung, die in Karlsruhe seit 30 Jahren nicht vergeben wurde und für ein Klavierquartett ein Novum darstellt.

Heute konzertiert das Fauré Quartett, welches mittlerweile als eines der renommiertesten deutschen Kammermusikensembles gilt, auf den wichtigsten internationalen Podien und Festivals, wie dem Schleswig-Holstein- Musikfestival, Rheingau-Musik-Festival, Schwetzinger Festspiele, Ludwigsburger Festspiele, Martha Argerich Festival Buenos Aires, Festival de Radio France et Montpellier, Kuhmo Chamber Music Festival, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Kissinger Sommer, Festival de l'Orangerie de Sceaux und anderen.

Nach dem 2005 erfolgten Plattenvertrag des Fauré Quartetts mit der Deutschen Grammophon wurden zum Mozartjahr die beiden Klavierquartette des Komponisten veröffentlicht. Im Februar 2008 erschien zudem die neueste CD mit den Klavierquartetten op. 25 und op. 60 von Johannes Brahms, für die das Fauré Quartett mit einem „Klassik-Echo“ ausgezeichnet wurde. Überhaupt wird das Fauré Quartett längst von Publikum und Kritik als das weltweit führenden – feste  Klavierquartett betrachtet und ihm im Bereich der Gattung Klavierquartett eine Pionierrolle zuerkannt. Die Preise, Ehren und Auszeichnungen, die es erhielt, wurden vorher keinem anderen Klavierquartett zuteil. Darunter zählen neben dem Echo Klassik 2008 auch der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, sowie u.a. der Parkhouse Award London, der Preis des Deutschen Musikwettbewerbes, der 1. Preis des Deutschen Hochschulwettbewerbs und der Kunstpreis des Landes Rheinland Pfalz.

Von Beginn an und damit seit fast 15 Jahren spielt das Faurè Quartett in der Besetzung mit Erika Geldsetzer aus Betzdorf (Violine), dem Bratscher Sascha Frömbling (geboren 1974 in Mexico City), dem Cellisten Konstantin Heidrich (1975 in Hamburg als Sohn des Geigers und Komponisten Peter Heidrich geboren) und dem Pianist Dirk Mommertz aus Mainz. Die vier Musiker bringen mit Kinderkonzerten und ihrer Initiative ”Rhapsody in school” klassische Musik regelmäßig auch Kindern und Jugendlichen nahe. Außerdem unterrichten sie im Rahmen von Professuren und Lehraufträgen an der Royal Academy of Music in London, der Universität der Künste in Berlin, der Essener Folkwang Hochschule und der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden.

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Kerstin Unseld