Erste „klassische“ Duosonaten des Geigenrepertoires
„Die 6 Claviertrio sind von den besten Arbeiten des seeligen lieben Vaters. Sie klingen noch jetzt sehr gut und machen mir viel Vergnügen, ohngeachtet sie über 50 Jahre alt sind. Es sind einige Adagii darin, die man heut zu Tage nicht sangbarer setzen kann.“ – So begeistert schreibt im Jahre 1774 Carl Philipp Emanuel Bach über die sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo, den bedeutendsten Kammermusik-Zyklus seines Vaters. Aber wieso spricht er von „Claviertrio“, wo doch nur zwei Instrumente spielen? Genau darin liegen Geheimnis und Bedeutung dieser großartigen Musik. Denn diese „Sei Suonate à Cembalo certato è Violino solo“ – wie sie im Original heißen – sie, sie bilden gleichsam die musikalische Urszene der modernen Violinsonate. Sind sie doch die ersten Sonaten der Musikgeschichte, in denen sich das Tasteninstrument aus der Rolle der akkordischen Begleitung im Basso continuo herauslöst und der Violine als gleichberechtigter Partner gegenübertritt. So musizieren die Violine und die beiden Hände des Cembalos im dreistimmigen Kontrapunkt. Die Fantasie, mit der Bach die satztechnischen Möglichkeiten dieser damals spektakulären Konstellation auskostet, die formale Vollendung jeder einzelnen Sonate und ihre ganz spezifische Ausdruckswelt machen diese Stücke zu den ersten „klassischen“, und das heißt auch „mustergültigen“ Duosonaten des Geigenrepertoires.
Atemberaubende Präzision
Und genau so wird hier auch von Isabelle Faust und Kristian Bezuidenhout musiziert: auf allerhöchstem Niveau, mit schier atemberaubender Präzision, gerade in den schnelleren, kontrapunktisch anspruchsvollen Sätze in Fugenform.
Der Zyklus seiner sechs Sonaten hat Bach offenbar lebenslang begleitet, wie zahlreiche Revisionen und Umarbeitungen in den Noten belegen. Allein, warum Bach diese Sammlung komponiert, wer ihn auf die Idee gebracht hat, für diese neue Kombination zu schreiben, darüber ist viel gerätselt worden. Kristian Bezuidenhout macht da einen Vorschlag, der jedenfalls nicht von der Hand zu weisen ist: In Köthen stimmt Bachs Dienstherr im März 1719 dem Ankauf eines großen zweimanualigen Cembalos – vielleicht sogar mit einem 16-Fuß-Register – aus der Werkstatt des Berliner Instrumentenbauers Michael Mietke zu. Dieses Instrument mit seinem vollen Klang sollte zum Sinnbild für Bachs Kompositionen in dieser Zeit werden und könnte ihn auch dazu veranlasst haben, ein derart klangstarkes Cembalo als ebenbürtigen Partner eines Solo-Instruments einzusetzen.
Perfektes Zusammenspiel
Während Kristian Bezuidenhout bei dieser Aufnahme ein Cembalo nach Johann Heinrich Gräbner von 1722 spielt, dessen Klangästhetik den Mietke-Modellen sehr nahekommt, musiziert Isabelle Faust auf einer Geige von Jacobus Stainer aus dem Jahr 1658, deren Brillanz sich locker gegen das Cembalo durchsetzen, die aber auch mit einem warmen, dunklen Timbre die Adagio-Melodien der langsamen Sätze zum Leuchten bringen kann. Dabei kommt das insgesamt wunderbar ausbalancierte Klangbild dieser Aufnahme dem perfekten Zusammenspiel von Faust und Bezuidenhout sehr entgegen und unterstützt die enorme Transparenz und Plastizität, mit der die beiden Künstler jede der drei Stimmen klar artikuliert modellieren und dynamisch kontrastieren. Ob diese Musik zu Lebzeiten Bachs jemals so gespielt, jemals so gehört wurde? Mit diesen Tempi? Mit dieser Präzision? Mit dieser Lust? Nun, das sind alles eher akademische Fragen, die von dieser neuen Referenzaufnahme mühelos ins Abseits gespielt werden. So und nicht anders klingt Bach heute.
CD-Tipp vom 20.2.2018 aus der Sendung „SWR2 Cluster“