Buch-Tipp

Magnus Still: Ausverkauft – das ganze Jahr!

Stand
Autor/in
Matthias Nöther

„Ausverkauft – das ganze Jahr! So füllen Sie den Saal durch Abonnements“ lautet der verheißungsvolle Titel von Magnus Stills neuem Buch. Der finnische Kulturmanager beschreibt darin die Wichtigkeit von Abos im Klassikbetrieb, und wie diese systematisch unterschätzt werden.

Die Zahl derer, die ein Abonnement für die gesamte Konzertsaison eines Orchesters kaufen, nimmt ab. Das wirkt nachvollziehbar. Entscheiden sich nicht Menschen jungen und mittleren Alters heute lieber spontan, ob sie am freien Abend ins Konzert, in den Club oder ins Kino gehen wollen? Lassen sie sich etwa gerne ein Programm vorsetzen, das sie nicht in freier Entscheidung, sondern aufgrund der Abo-Bestimmungen des Konzerthauses ausgewählt haben? Das kann doch nur unattraktiv sein.

Magnus Still, Leiter des internationalen Projekts „Ausverkauft“, gibt gerne zu, dass er auch so dachte, als er vor knapp zwanzig Jahren Generaldirektor des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters wurde und sich die sinkenden Abo-Zahlen anschaute.

Mein erster Gedanke war – und ich habe gelernt, dass die meisten in unserem Bereich so denken –, dass Abos einfach nicht mehr funktionieren. Vielleicht ist es ein natürlicher Vorgang, dass wir Jahr für Jahr Abonnenten verlieren. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen, ganz zu schweigen vom Einfluss des Internets. Die Menschen des 21. Jahrhunderts sind eher eine Surfer-Generation, und vielleicht wollen sie sich einfach nicht mehr binden. Aber dann schoss mir durch den Kopf: Hätten wir nicht die 200 Abonnenten in der Kulturhalle und die 500 in der Finlandia-Halle – was für ein Albtraum wäre das!“

Dann nämlich müsste man mit kurzfristigen Maßnahmen der hauseigenen Marketing-Abteilung jedes neue Konzert des Orchesters von Null an mit Publikum füllen. Magnus Still wendet sich oft appellartig an den imaginierten Intendanten, die Intendantin, die sein Buch lesen sollen.

„Was kostet Sie die Demoralisierung Ihrer Leute durch solche regelmäßigen Torschluss-Übungen? Wieviel Spaß macht das? Wie viel Zeit bleibt Ihnen für strategisches Denken, und wie viele lukrative Chancen verpassen Sie? Wie viel Zeit bleibt Ihnen für andere entscheidende Tätigkeiten wie Musikvermittlung und Digitalisierungs­projekte?“

Das zentrale Argument von Magnus Still für Abonnements lautet: Ein guter und frühzeitiger Verkauf von Abos verschaffe den Konzerthäusern mehr Beinfreiheit, um ambitionierte und vielleicht auch unpopuläre künstlerische Experimente zu wagen. Das ist eine Überraschung des Buches, die dem gängigen Vorurteil gegenüber Konzertabonnenten widerspricht. Diese, so Still, seien eben nicht nur laut und wählerisch und moderner und unbekannter Musik gegenüber negativ eingestellt.

„Wir haben zwölftausend Abonnenten in acht Ländern befragt. Auf die Frage, was ihnen an Abonnements gefällt, war eine der häufigsten Antworten, dass in den Abonnements Programme enthalten seien, die auf dem Papier so befremdlich aussahen, dass sie niemals Einzelkarten dafür gekauft hätten [...]. Und im Nachhinein hätten sich diese Konzerte als die besten der ganzen Saison erwiesen.“

Deshalb ist Magnus Still in seinem Buch „Ausverkauft – das ganze Jahr“ ziemlich streng. Wahlabonnements, in denen sich die Kunden ihre Konzerte völlig frei zusammenstellen könnten, hält er für faule Kompromisse, die das Wesen des Abonnements verkennen.

Es gibt vier wirklich große Probleme mit flexiblen Abonnements. Erstens: Wenn mehrere Veranstaltungen relativ schwach besucht sind, gehen Ihnen Einnahmen verloren, Sie haben hohen Aufwand für kurzfristiges Marketing und der Stress-Level für die Organisation ist hoch. Zweitens: Wenn sich die Besucher per Wahlabo die Rosinen aus dem Kuchen picken können, wird sich ihr Geschmack nicht weiterentwickeln. Drittens: Feste Abonnenten können zu Wahlabos wechseln. Viertens: Die Institution hat keinen Zugewinn an künstlerischer Freiheit.“

Still appelliert, der Kraft des Abonnements zu vertrauen.

Wir haben festgestellt, dass die übliche Erneuerungsrate – also der Prozentsatz der Abonnenten dieser Saison, die ihr Abo um eine Saison verlängern – bei 75 bis 80 Prozent liegt.“

Wer sein Abo zehn oder zwanzig Jahre hat, wird es sogar mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu neunzig Prozent verlängern.

Ein Abonnent empfindet üblicherweise eine engere Bindung an das Orchester, ist besonders begeistert davon und wird eher dazu neigen, gegenüber Familie und Freunden positiv von Ihnen zu sprechen. Wie wir alle wissen, sind Kraft und Gewicht einer persönlichen Empfehlung in unserer mit Werbebotschaften überfluteten Welt von unschätzbarem Wert.“

Magnus Still ist vor allem an deutschen Konzerthäusern als Berater tätig. Seine Beratung soll zum Beispiel der Tonhalle Düsseldorf zu einer Verdoppelung der Abonnement-Zahlen über drei Jahre verholfen haben. Es ist angenehm, dass Magnus Still in dem Buch nicht als verschwiegener Guru mit Betriebsgeheimnis auftritt. Die richtigen Maßnahmen, um die Abonnenten-Zahlen zu erhöhen, können von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein. Magnus Still empfiehlt teilweise sehr einfache Dinge, zu denen man allerdings auch Mut haben muss.

„In vielen Häusern sind Abonnementrabatte unbeliebt. Das Philharmonische Orchester Bergen beispielsweise gewährt seinen Gold-Abonnenten einen Rabatt von unglaublichen fünfzig Prozent auf das Abonnement. Auf den ersten Blick mag das völlig verrückt wirken. Aber man muss bedenken, dass diese Leute fünfundzwanzig Vorstellungen auf einmal kaufen.“

Magnus Stills Buch ist in der Edition „das orchester“ bei Schott erschienen und kostet 39,95 Euro. Es ist auch für interessierte Laien sehr gut lesbar und erhellend – und zwar deshalb, weil der Autor es nie bei betriebswirtschaftlichen Argumenten belässt. Es geht auch um gesellschaftliche Teilhabe an Kunst und Kultur.

Deshalb, so Still, sei es auch mal irgendwann gut mit dem Abo-Verkauf. Schließlich müssten auch noch Konzertkarten für diejenigen übrig bleiben, die dreißig Jahre lang nicht im Konzert waren und eines Tages an der Vorverkaufskasse erscheinen. Ein Abo werden die erstmal nicht kaufen – aber Magnus Still würde niemals nie sagen.

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Matthias Nöther