Musikmarkt: CD-Tipp

Jonas Kaufmann und sein neues Album mit Liedern von Franz Liszt

Stand
Autor/in
Christoph Vratz
Künstler/in
Jonas Kaufmann & Helmut Deutsch

Corona hat selbst die namhaftesten Vertreter*innen des internationalen Musikgeschäfts ausgebremst. Einige von ihnen haben jedoch die unfreiwillige Pause produktiv genutzt. So auch der Tenor Jonas Kaufmann.

Er hat sich zusammen mit dem Pianisten Helmut Deutsch einem seiner Lieblingskomponisten gewidmet: Franz Liszt. „Freudvoll und leidvoll“ heißt das neue Album, Christoph Vratz hat es sich angehört.

Ein Album mit Kontrasten

„Vergiftet sind meine Lieder“ – so einen Gedichtanfang findet man eigentlich nur bei Heinrich Heine. Franz Liszt hat das eindrucksvolle in Musik gesetzt: mit beißender Harmonik und einer Art Aufschrei des Sängers. Und Jonas Kaufmann lässt sich nicht lange bitten: lautstark – als stehe irgendwo Verdis Otello im Hintergrund. So kennen wir Kaufmann, so wird er geschätzt.

Doch der Kontrast lässt nicht lange auf sich warten: „Freudvoll und leidvoll“ lautet der Titel, der auch Kaufmanns neuem Album als Titel dient: Franz Liszt hat gleich zwei Vertonungen dieses Gedichts im Angebot.

Aufnahmen mit Liszt-Liedern eher selten

Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Sänger vom Kaliber Kaufmann dem eher selten beachteten Liedkomponisten Franz Liszt ein ganzes Album widmet. Wo die besonderen Qualitäten dieses Repertoires liegen, erklärt übrigens Pianist Helmut Deutsch ausführlich im Beiheft.

An Text-Vorlagen mit Hit-Charakter mangelt es ohnehin nicht. „Über allen Wipfeln ist Ruh‘“, „Es war ein König in Thule“, „Die Loreley“, – lauter bekannte Titel, nur die Vertonungen durch Liszt sind eher wenig bekannt.

Kaufmanns Stimme hat sich weiterentwickelt

Ein schöner Nebeneffekt des ausgewählten Programms ist, dass in zwei Fällen jeweils zwei unterschiedliche Vertonungen desselben Textes zu hören sind – eine seltene Gelegenheit zum Vergleich.

Was aber geschieht musikalisch? Zugegeben, ich hatte mit dem Lied-Sänger Jonas Kaufmann bei früheren Einspielungen hier und da meine Probleme; etwa wenn er leise Stelle hauchig gestaltet oder in leiseren Passagen seine Stimme, gerade in den oberen Tonregionen, angestrengt wirkt.

Nun hat sich seine Stimme in den letzten Jahren logischerweise weiterentwickelt, sie ist schwerer geworden, Wagner-lastiger könnte man sagen. Umso beachtlicher, wie Kaufmann jetzt beispielsweise den sanft-mysteriösen Beginn des „Königs in Thule“ gestaltet.

Farbenreiche Darstellung von Helmut Deutsch

Geht doch, könnte man sagen: kein Hauchen, keine Anstrengung, dazu textverständlich und mit einer gewissen Grundwärme. Auch die dramatischen Abschnitte fängt Kaufmann überzeugend ein.

Gleichzeitig kommt etwas hinzu, was diese Einspielung im Ganzen auszeichnet: Das Zusammenspiel mit dem Pianisten. Helmut Deutsch gelingt eine farbenreiche Darstellung, man könnte es fast Orchestrierung nennen. Das ist großartig, etwa wenn sich die Gesangsstimme in tieferen Regionen bewegt und der Diskant des Klaviers hell darüber leuchtet.

Am Ende wird Kaufmann zum Poeten

Zugegeben, anfangs war ich ein wenig skeptisch, ob mich Kaufmann mit dieser Aufnahme überzeugen kann. Doch die Liszt-Lieder bilden ein Repertoire, dass ihm liegt. Frühere Schwachpunkte sind zwar nicht ganz verschwunden, aber offenbar hat der Tenor sie besser im Griff.

So gelingen auch die ariosen Passagen in den drei Sonetten nach Petrarca, die am ehesten in ihrer Fassung für Klavier solo bekannt sind. Und ein bisschen Opern-Attitüde darf’s dann in dieser Lied-Version auch mal sein. Am Ende wird Kaufmann gar zum Poeten – in Liszts Vertonung von Goethes „Wandrers Nachtlied“.

Kein Album für den großen Kommerz?

Vielleicht kommt es ja anders, denn der Name Kaufmann zieht immer. Viel wichtiger aber: Man findet nicht viele wirklich gute Aufnahmen mit Liszt-Liedern. Hier ist eine!

Stand
Autor/in
Christoph Vratz
Künstler/in
Jonas Kaufmann & Helmut Deutsch