Genau genommen gibt es das Wort "inconjunction" nicht, außer in der Adjektivform "inconjunct", einem astrologischen Fachbegriff, der die Position von zwei Planeten zueinander beschreibt, bei der sie einander nicht beeinflussen. Da der Grundgedanke dieses Werkes das Komponieren von fünf Abschnitten war, die trotz fast identischer Generationsverfahren extrem unterschiedliche Eigenschaften aufweisen sollten, schien mir die Prägung eines Neologismus, der den extremen Charakter dieser Anhäufung von Desassoziationen widerspiegelte, durchaus passend. Ich dachte dabei auch an das Modell des Quincunx, das – wenngleich auch als astrologischer Begriff verwendet – hauptsächlich als Anordnung von fünf Elementen in einem vordefinierten Raum verstanden wird, häufig in einer x-förmigen Aufstellung (wie im Markusdom in Venedig).
Diesem Bild einer radikalen formalen Dysfunktion auf Grundlage prozeduraler Konsequenz gemäß wählte ich sehr klar unterscheidbare Klangfarbenqualitäten für die vier "Seitenteile": Der erste Abschnitt verwendet ausschließlich Holzbläser in sehr hoher Lage; der zweite, eher rhetorische Abschnitt wird Streichern und Schlagzeug zugeordnet; im dritten kommen lediglich die drei Blechbläser und zwei Schlagzeuger in einem zerbrochenen, "verwundeten" Dialog zum Einsatz, und der Schlussabschnitt stellt so etwas wie eine surreal beschleunigte, zeitschleifenartige Überlagerung unterschiedlicher Texturebenen dar, die sich kaleidoskopisch über das ganze Ensemble ausbreitet. Diese Abschnitte werden symmetrisch um eine längere "Mitteltafel" herum disponiert, die in sich so homogen ist, wie die anderen Teile vielfältig sind.
Vor einem halben Leben hatte ich einen eindrucksvollen Traum: Ich sah mir ein Stück für Orchester und Chor an, das von bemerkenswerter Kürze, jedoch dichter und reichhaltiger Texturierung war. Das ganze Ensemble spielte sogar ununterbrochen und fast unhörbar; es gab keinen einzigen Takt, der ohne einzigartige Figurationen gewesen wäre. Wie es oft mit frustrierenden Träumen der Fall ist, blieben mir nach dem Erwachen nur noch allgemeine Eindrücke dieser Partitur übrig. Mir ist es nie gelungen, dieses Erlebnis in seiner ganzen transparent-monolithischen Gesamtheit kreativ neu zu imaginieren, und ich habe bis heute gezögert, mich an seine radikale Umformulierung dynamischer Intensität mittels texturaler Differenziertheit heranzuwagen. Der Mittelteil von Inconjunctions versucht, essenzielle Aspekte dieses Traumideals einzufangen, indem die Verwendung, Tonlage und Texturdichte der Instrumente die dynamische Intensität als Indizes relativer Wichtigkeit des Materials gänzlich ersetzen. Alle Musiker sollen konsequent "so leise wie möglich" spielen; beim Auskomponieren meines verworrenen Liniengeflechts mit besonderem Augenmerk auf der Dichte sowie den praktischen Möglichkeiten der Instrumente in verschiedenen Tonlagen stellte ich mir eine flüssige Interaktion von Gestalten und Situationen vor, die nur flüchtig und trübe per speculum in aenigmate wahrgenommen wird.
Inconjunctions ist Armin Köhler wärmstens zugeeignet, mit Dank für seine häufig geprüfte Geduld.
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- Brian Ferneyhough, Inconjunctions für Ensemble
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