In den letzten Jahren habe ich wiederholt die Bedeutung unserer verschiedentlich ausgeprägten Wahrnehmung von Zeit überdacht, insbesondere wie unsere Wahrnehmung des Zeitraumes erhöht oder neu definiert werden kann durch das Herbeiführen von Diskrepanzen zwischen der Verortung bzw. der Entfaltung von Klangmaterial und der Zeit, die zur Verfügung steht für dessen individuelle Wahrnehmung. Das Orchesterstück "Plötzlichkeit" (2006) sowie der groß angelegte Ensemble-Essay "Chronos – Aion" (2008) setzen sich aus einer Reihe kurzer Fragmente zusammen, die gelegentlich durch Pausen getrennt oder direkt aneinandergefügt sind. Mein Streichquartett Nr. 6 versucht zunächst weitgehend an vergleichbare Prinzipien anzuknüpfen, aber anstatt sie zu hermetisch geschlossenen Einheiten zu zwingen, werden diese atemlosen Texturen durchgehend überlappt und eingebettet, um ein schwirrendes Durcheinander von aufeinanderstoßenden Materialien, kurzlebigen formalen Strategien und provisorisch umrissenen Zeitrahmen zu erzeugen. In der Tat, größtenteils unterminiert und umgeht das Zusammentreffen der breiten Vielfalt von Figur das ursprünglich autonome "Zeitschnitt"-Prinzip und führt dergestalt zu einer Art gespiegelter oder negativer Hierarchie, einer qualitativ ausgeprägten Neubestimmung von Dimensionen.
Das Werk ist dem Andenken James Averys gewidmet, einem selbstlosen Unterstützer der neuen Musik und für dreißig Jahre ein guter Freund.
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 2010
- Themen in diesem Beitrag
- Brian Ferneyhough, String Quartet No. 6
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