Welche Bedeutung hat der Ausdruck "Klangökologie"?
Ich habe ihn in letzter Zeit häufig gebraucht und habe doch, vor allem bei Interviews, den Eindruck gewonnen, die Charakteristik und die hermeneutische Tragweite dieses Klumpens aus Intuitionen werde nicht immer begriffen. Ich will versuchen, sie zusammenzufassen.
Insofern die Ökologie sich mit dem Überleben des Planeten beschäftigt, betrifft sie alle Menschen.
Sie wäre jedoch nicht von Interesse für die Arbeit eines Künstlers, wenn sie sich ausschließlich auf die Erforschung der Umwelt erstrecken würde. Es geht um das Entstehen einer Sensibilität, eine andere Art, sich auf die Welt zu beziehen. Ein weites Feld für Debatten, das noch lange nicht dringend genug geworden ist, wenn man es vom Grad der Umweltverschmutzung her betrachtet, die unbeachtet katastrophale Anzeichen produziert. Wir dürfen uns nicht der allgemeinen Zerstreutheit unserer zersplitterten Gesellschaft überlassen; jemand wie ich versucht, in seiner jeweiligen Rolle hellsichtig zu sein, ohne zu verzweifeln.
Ich würde zunächst unterscheiden zwischen "akustischer Ökologie" und "Ökologie des Hörens"; erstere betrifft selbstverständlich jede natürliche Umgebung vom akustischen Standpunkt aus. Letztere ist eher eine mäeutische Herangehensweise, sie markiert den individuellen Weg, den jeder von uns im Zuge seiner mentalen Selbstreinigung zurücklegen kann.
Wenn das Phänomen des Musikalischen in seinen Wurzeln verstanden wird, hat die Ökologie des Hörens Folgen von kollektiver Tragweite. Es ist notwendig, das Ohr von den Verkrustungen zu befreien, es von seiner Taubheit zu heilen und wieder aufzubauen. Freilich sind eher die Umweltbedingungen als ein taubes Ohr daran schuld, dass der Verstand brüchig wird.
Den Verstand reinigen heißt also zu lernen, innerliche Leere herzustellen, Raum zu geben: der Stille, den Klängen, dem Wort, dem Anderen, das man nicht kennt. Jede Wahrnehmungsfähigkeit ist auch eine schöpferische Fähigkeit, oder vielmehr: Das Wahrnehmen ist schon das Ordnen eigener Sinneseindrücke.
Es gibt Künstler, denen die Aufmerksamkeit gegenüber der Wahrnehmung grundlegende Konzepte für die eigene Kunst liefert. Ihnen gelingt es, die ganze im Klang liegende emotionale Kraft auszunutzen. Wer das Hören selbst modelliert und dem Hörer Hörbilder eingibt, der wird imstande sein, die ästhetische Erfahrung in eine Erkenntnisform des Selbst und der es umgebenden Welt zu verwandeln.
Eine solche Nähe zwischen der Musik und den Klängen der Wirklichkeit führt zu einer Osmose, die ich globales Hören nennen würde (die Formulierung habe ich der Musiktherapie entnommen): global vor allem wegen der umfassenden Tiefenwirkung, aber auch wegen der Vielzahl der Wahrnehmungsanteile. Damit meine ich nicht nur die Verwandlung der Erfahrung des Hörens, sondern auch die Raumillusion, die denjenigen, der sich meiner Musik aussetzt, unmittelbar in ein Woanders hineinführt, jenes typische Vordringen in unbekanntes Gebiet.
Wenn man sich auf der Grenze zwischen Musik und Wirklichkeitsklang bewegt, funktionieren die eingefahrenen Schemata nicht mehr, alle Versuche der Erfassung werden zum Problem. Dann bewegt sich die Musik in ein "Jenseits von der Musik", mindestens in dem Sinn, wie Musik üblicherweise verstanden wird. Die Bezugspunkte können höchstens noch außerhalb der musikalischen Technik festgemacht werden, in einem interdisziplinären Kontext.
Anders als man aus Bequemlichkeit zu glauben geneigt wäre, ist die zur Aufführung nötige Technik keine Ansammlung von Daten. Das merkt man schon daran, wie das Erlernen eines Instrumentes erfolgt, nämlich auf der Grundlage des direkten Kontaktes zwischen Meister und Schüler, auf einer geduldigen und gegenseitigen Anverwandlung; das zeigt auch die musikalische Probensituation, gekennzeichnet durch häufigen verbalen Meinungsaustausch.
Die Momentgebundenheit der Aufführung (oder der Kern des Interpretierens) erfordert individuelle Beherrschung und Reife. Eine Technik lässt sich durch normale Erklärungen nicht vollständig weitergeben. Schnell ist ihre Zeit abgelaufen, und die Partitur wird neben den anderen taub und blind im Dunkeln liegen.
Wenn dies schon mit der Musik jeder beliebigen Epoche geschieht, um wie viel mehr dann mit der meinigen. Mein musikalischer Plan möchte sich selbst, die Klänge, die Welt verwandeln. Da er eng mit der instrumentalen Vorstellungskraft verwoben ist, verlangt er neue Aufführungspraktiken. Mit anderen Worten: Die Annäherung an die Wahrnehmung (und damit auch an die Klangerzeugung) ist nicht die übliche, sondern sie gibt Fragen auf. Diese mit dem Interpreten zusammen jeweils neu zu formulieren, ist eine dauernde Aufgabe.
Früher waren meine Stücke durch wenige Spezialisten konditioniert, weil sie sonst niemand spielte. Die Entzifferung zeitgenössischer Musik rief Angst hervor, und man gab sich mit ungefähren Aufführungen zufrieden – das Äußerste, was man erwarten konnte, war eine präzise Aufführung.
Inzwischen hat der Generationenwechsel junge Musiker hervorgebracht, deren tiefe Vertrautheit mit den Werken zum Ausgangspunkt für eine Identifikation ohne Trennwände wird. Sie sind keine halbherzigen, sondern vollständige Persönlichkeiten, und sie ermöglichen das Unerwartete: dass man vom Buchstabieren zum Diskurs, von der Aneinanderreihung der Klänge zur wahrhaftigen Interpretation übergehen kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Widmung dieses Stückes nicht nur freundschaftlich gemeint, sondern geradezu zwingend: für Christian Dierstein, für seine außergewöhnliche Sensibilität.
Holz ist hart, Sprechen gehört zur weichen Zunge. Das ökologische Hören jedoch versöhnt die Gegensätze.
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 2004
- Themen in diesem Beitrag
- Salvatore Sciarrino, Il legno e la parola für Marimbaone und Plattenglocke
- Verwandte Beiträge
- Werke des Jahres 2000: Wolfram Schurigs "A.R.C.H.E.", Werke des Jahres 2009: Salvatore Sciarrinos "Libro notturno delle voci", Werke des Jahres 2014: Salvatore Sciarrinos "Carnaval", Salvatore Sciarrino über sein Werk "Carnaval"