Musikgespräch

Lydia Rilling zum Auftakt der Donaueschinger Musiktage 2023

Stand
Interview
Ines Pasz

Lydia Rilling ist neue Leiterin der Donaueschinger Musiktage. Ihre erste Ausgabe des Festivals hat einen Frauenanteil von über 70 Prozent – einzigartig in der Branche und darüber hinaus. Zentrale Themen des Festivals sind „colLABORation“ – das Festivalmotto –, Improvisation und Diversity. Für Rilling soll Neue Musik nicht nur klanglich, sondern auch inhaltlich im Hier und Jetzt verankert sein und sich mit den Themen befassen, die für die Gegenwart und Zukunft relevant sind.

Gab es die obligatorischen Aufreger? Absagen, Nervenzusammenbrüche, Rückzieher?

Der Nahost-Konflikt hat uns insofern erreicht, als dass wir zwei libanesische Künstler aus Beirut am Samstag in einer live-elektronischen Performance haben. Einem von den beiden wurden alle Flüge gecancelt, sodass wir also ganz kurzfristig schauen mussten, wie wir den Künstler aus Beirut noch nach Donaueschingen bekommen. Das ist aber gelungen, aber das war bisher auch der einzige, größere Aufreger. Und wir hoffen natürlich, dass das so bleibt.

Das Motto des Festivals ist „colLABORation“, also Zusammenarbeit. Warum war Dir dieses Thema so wichtig?

Die zeitgenössische Musik verdankt ihre Vielfältigkeit und Lebendigkeit dem Umstand, dass kollaborative Praktiken seit einigen Jahren eine große Rolle spielen. Die klassische Arbeitsteilung, dass ein Komponist in seinem Atelier alleine komponiert und die Partitur erst an die Musiker übergibt, wenn die Partitur vollendet ist – das ist nur eine unter vielen Optionen. Das ist das mit Sicherheit immer noch am weitesten verbreitete Künstler-Bild von einem Künstler-Genie. Aber das ist eben nur eine Option.

In anderen Künsten, wie Tanz, Theater oder Performance haben kollaborative Prozesse schon seit Jahrzehnten Einzug erhalten. Das ist etwas, was bisher relativ wenig Platz in Donaueschingen eingenommen hat. Und deshalb war es mir wichtig, in der ersten Ausgabe, die ich verantworte, das in den Fokus zu rücken und auch einmal diese Geniekonzept Türen ein wenig zur Seite zu schieben.

Dazu kommt die gesellschaftliche und politische Dimension. Wir leben ja in Zeiten extremer Spaltung, Polarisierung und von großen gesellschaftlichen, sozialen Umbrüchen. Ohne Zusammenarbeit werden wir die Herausforderungen, die die Gegenwart und die Zukunft und stellen, nicht meistern können.

Wie stellt sich dieses Thema Kollaboration dann konkret dar bei den Donaueschinger Musiktagen?

Das Festival präsentiert die unterschiedlichsten Ausprägungen von künstlerischen Zusammenarbeiten. Wir haben zum Beispiel ein Kollektiv, in dem alle gleichermaßen komponieren und aufführen. Wir haben die Zusammenarbeit von SchriftstellerInnen und KomponistInnen, die zum Teil über Jahre hinweg immer wieder zusammengearbeitet haben. Wir haben aber auch sogenannte Composer-Performer-Künstler, die zum Beispiel Improvisationsmusiker sind und für sich selbst und für ein Ensemble komponiert haben.

Was Partituren angeht, haben wir alle möglichen Varianten: Ganz traditionell notierte Partituren, Werke, die komplett ohne Partitur auskommen. Wir haben Projekte, die mit modularen Partituren arbeiten. Das heißt, es sind bestimmte Teile des Werkes festgelegt, andere sind frei. Bei vielen Projekten steht fest, was am Ende erklingen wird. Bei vielen wird sich das dann im Konzert auch noch ergeben.

Welche Aufführung könntest du uns besonders empfehlen? Gerade wenn wir vielleicht nicht so ausgeprägte Erfahrungen haben mit der Musikavantgarde?

Wenn jemand sich ganz besonders für Literatur interessiert, also Literaturliebhaberin ist, dann kann ich ein Konzert mit den Schriftstellerinnen Felicitas Hoppe und Anja Kampmann, die Echoräume, empfehlen.

Ich kann auch ganz besonders das Abschlusskonzert de Festivals mit dem SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Ingo Metzmacher am Sonntag um 17 Uhr empfehlen. Da werden drei sehr unterschiedliche Werke von Komponistinnen unterschiedlicher Generation präsentiert. Alle drei Werke, so uterschiedlich sie klingen, widmen sich den existenziellen Fragen des Lebens. Das ist ein Konzert, das, denke ich, gerade auch für Menschen, die weniger Hörerfahrungen haben, die aber neugierig sind und offene Ohren haben besonders interessant sein könnte.