Donaueschinger Musiktage | Werke des Jahres 2022

Daniel Ott / Enrico Stolzenburg: Zusammen Fluss

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Werkkommentar von Daniel Ott / Enrico Stolzenburg

Zusammen Fluss ist eine akustische Skulptur. Sie bezieht sich auf den Klang entlang der zehn Länder, die der Donau ein Ufer bieten, bis ihr Weg ins Schwarze Meer mündet.

Die Klangkomposition für diese Skulptur ist speziell für den Ort am jüngst renaturierten Donauursprung geschaffen. Sie ist als Dauerinstallation konzipiert und nimmt die geschichtliche Dimension in den Blick, die der Fluss für uns in Europa hat. Damit ist die Klangskulptur eine ideale Ergänzung zu den Themenbereichen Fließgewässer, Naturschutz, lokale Region, die am Zusammenfluss mit der neuen Bregbrücke aufgerufen werden. Die Klangskulptur erinnert uns daran, dass wir unseren Kontinent für die Zukunft nur gemeinsam denken wollen. Nur zusammen sind wir Fluss. Dies gilt für die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Belange, insbesondere aber auch für eine ökologische Perspektive, die, nötiger denn je, nur ein Miteinander sein kann.

Der Klang, der als akustische Skulptur zu hören ist, verwendet Tonaufnahmen aus allen zehn Anrainerstaaten: Geräusche des Wassers, der Biotope und Habitate, der Städte und Gemeinden, der von Menschen geformten Landschaften, die durch die Aufnahmen hörbar werden.

Wer den Zusammenfluss aufsucht, stelle sich die Kulisse der Donau vor, durch die der Fluss sich bis zur Mündung windet! Und dann die Assoziationen, die vom Klang der Skulptur in den Menschen ausgelöst werden. Hier, wo Breg und Brigach sich vereinen, können alle ihre Gedanken fliegen lassen, Kopfkino spielen in ferne Länder, Kulturen, Geschichten und Zeitgeschichte. Für letztere sorgen Archivtöne, kurze Ausschnitte, die, unter klanglichen und inhaltlichen Aspekten bestimmt, Gedankenfenster öffnen können. Beispielhaft ausgewählt sind die Demokratiebewegungen in Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968, der Krieg im Kosovo in den 1990er Jahren, bis hin zum Begriff der "Balkanroute", der seinen Ursprung in den Migrationsbewegungen unserer Zeit hat. Wie nah uns Konflikte in die Gegenwart führen, wird in dem erschütternden Hilferuf Wolodimir Selenskis vom März 2022 spürbar.

Die akustische Skulptur ist künstlerisch in Anlehnung an die Komposition Donau/Rauschen zu verstehen, die 2021 in Donaueschingen zu hören war. Sie ist in ihrer technischen Umsetzung ein ähnlich kooperativer Vorgang wie die Realisierung jener Landschaftskomposition in der Karlstraße zum Jubiläum der Musiktage. Alle Arbeiten kommen hier am Donauursprung unter Beachtung der wesentlichen Rahmenbedingungen wie Sicherheit, Naturschutz, Barrierefreiheit, Nachhaltigkeit zusammen.

Ihre sichtbare Gestalt – zwei einfache Schacht- bzw. Kanaldeckel – steht für die bewusste Beiläufigkeit der Skulptur. Sie setzt sich unterirdisch aus zwei Vertiefungen zusammen, in der neben einer Möglichkeit für den Wasserabfluss spezielle Lautsprecher montiert sind. Die Installation lässt den Klang permanent und jederzeit frei zugänglich erfahren. Die Skulptur entzieht sich durch die schlichte Form dem Blick, vor allem das Hören steht im Mittelpunkt. Und sie lädt, sich selbst erklärend, dazu ein, bei den klingenden Schächten zu verweilen oder vorbeizuziehen. Nach einer knappen halben Stunde startet der nächste Loop in die Wiederholung. 
Die Skulptur könnte Musikbegeisterten und Eingeweihten ebenso als Treffpunkt dienen, wie Anziehungspunkt sein für Menschen, die ganz zufällig darauf stoßen. Der Klang ist eher leise, schon aus wenigen Metern Entfernung ist er nicht mehr hörbar. Die akustische Skulptur ist barrierefrei und richtet sich an Einheimische wie Reisende gleichermaßen – als Ergänzung der vorhandenen Klänge, die sich hier im Verlauf der Jahreszeiten abwechseln.

English

Zusammen Fluss is an acoustic sculpture. It refers to the sound along the ten countries that provide a shore for the Danube until its path flows into the Black Sea.

The sound composition for this sculpture is created specifically for the location at the recently renatured Danube source. It is conceived as a permanent installation and focuses on the historical dimension that the river has for us in Europe. Thus, the sound sculpture is an ideal complement to the themes of waterways, nature conservation, and local regions, which all come into confluence with the new bridge over the river Breg. The sound sculpture reminds us that only together can we imagine the future of our continent. Only together are we a river. This applies to political, economic and cultural concerns, and especially to an ecological perspective, all of which – more now than ever – can only be achieved togethe

The sound, which can be heard as an acoustic sculpture, uses recordings from all ten riparian states: sounds of water, of biotopes and habitats, of cities and towns, of landscapes shaped by humans, all become audible through the recordings.

Those who visit the confluence imagine the scenery of the Danube, through which the river winds to its mouth! Multiple associations are triggered by the sound of the sculpture. Here, where Breg and Brigach unite, everyone can let their thoughts fly, visualize in their mind's eye distant countries, cultures, stories and contemporary history. The latter is provided by archival sounds, short excerpts which – depending on their sound and content – can open windows of imagination. Selected examples are the democracy movements in Hungary in 1956 and Czechoslovakia in 1968, the war in Kosovo in the 1990s, up to the concept of the "Balkan Route", which has its origin in the migration movements of our time. How close conflicts bring us to the present is palpable in Volodymyr Zelenskiy’s harrowing cry for help from March 2022.

The acoustic sculpture is to be understood artistically in reference to the composition Donau/Rauschen, which was heard in Donaueschingen in 2021. In terms of its technical implementation, it is a cooperative process similar to the realization of the landscape composition in Karlstraße for the anniversary of the Musiktage. All works come together here at the source of the Danube, taking into account the essential general conditions such as safety, nature conservation, accessibility, and sustainability.

Its visible form – two simple manhole covers – stands for the deliberate casualness of the sculpture. It is composed underground of two recesses in which special speakers are mounted, in addition to an outlet for water drainage. The installation allows the sound to be experienced permanently and is freely accessible at all times. The sculpture is almost invisible in its presence: hearing is the main focus. And it invites one to linger at or to pass by the sounds. After almost half an hour, the next loop starts repeating.
The sculpture could serve as a meeting place for music enthusiasts and insiders as well as a point of attraction for people who come across it quite by chance. The sound is rather quiet, already inaudible from a few meters away. The acoustic sculpture is barrier-free and is aimed at locals and travelers alike – as a complement to the existing sounds that alternate here throughout the seasons.

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Autor/in
SWR