"ojota" bedeutet Sandale auf Ketschuan. Schritte – Schuhe – Wege bilden das Assoziationsfeld, das Daniel Ott seit ungefähr zwei Jahren immer wieder neu durchmißt. ojota III ist eine Station auf dieser Klangreise, und sicher nicht die letzte. Die Stücke ojota I-III können sowohl einzeln als auch hintereinander als eine Art Zyklus aufgeführt werden. ojota ist ein work in progress, aber nicht als Programm sondern als inhaltliche Konsequenz, als ein Weitersuchen vom Gefundenen aus...
"Im Denken der Ketschuan liegt die Vergangenheit nicht hinter uns sondern vor uns. Die Zukunft dagegen liegt hinter uns, sie ist unsichtbar."
Ausgangspunkt für die Arbeit an ojota III bildeten Fragen an die Instrumentalisten nach Erinnerungen, die ihnen im Zusammenhang mit Schuhen kommen. Sie erzählen sich ihre Geschichten, jeder in seiner Sprache. Sie schlüpfen in die Figuren ihrer Erinnerung, kommentieren sie oder hören einander einfach zu. Der Ausgangspunkt der Arbeit ist auch die Grundsituation des Stücks. Da ist der schlürfende, unermüdliche Schritt einer Tante durch den langen Gang ihres Hauses in Süditalien. Oder das Gehen durchs Watt in der Bretagne in viel zu großen Gummistiefeln. Schritte und Schuhe, die ihre Welt mit sich tragen und sie für einen Moment, wie im Traum wieder sicht- und hörbar werden lassen. Das kompositorische Ausgangsmaterial, die Geschichten der Musiker, enthalten gleichermaßen Klänge und Szenisches. Diese Unterscheidung ist für Daniel Ott ohnehin nur eine äußerliche. So wirkt es fast selbstverständlich, dass er die Improvisationen der Musiker nach musikalisch-kompositorischen Prinzipien langsam in eine – immer wieder vorläufige – Form bringt und für die musikalische Komposition auch auf visuelle Techniken zurückgreift.
"Am Anfang der Komposition standen nicht formale Überlegungen, sondern die Fundstücke, die wir in Gesprächen und szenischen Improvisationen zum Thema Schuh gefunden haben."
Die individuellen Erinnerungen der Musiker kommen sozusagen von außen, als fremdes Material. Dieses Material wird dann auf seine verborgenen Bezüge oder variativen Möglichkeiten hin analysiert und bildet den Ausgangspunkt für die Komposition im engeren Sinn. Wie sich Erinnerungen meist an einem ganz bestimmten Moment festmachen und nur von dort aus entfalten lassen, so komponiert Daniel Ott in "ojota III" von den einzelnen Inseln der Erinnerungen aus in die Peripherie. Bei diesem Prozeß kommen auch seine eigenen Assoziationen und Reaktionen auf die Erinnerungen der Musiker ins Spiel, und so werden die anfangs disparaten Elemente nach und nach in Beziehung zueinander gesetzt, zusammengefügt, eben 'komponiert'.
"Ich habe nicht den Schuh erfunden, und ich habe nicht den Samba erfunden. Sie sind wie Stecknadeln auf der Landkarte: den Weg dazwischen komponiere ich."
In der Analyse der Fundstücke geht es auch darum, herauszufinden, wie das gefundene Material zu bearbeiten ist: an welchen Stellen bedarf es strenger Komposition und wo ist das Resultat stärker, wenn weniger vorgeschrieben ist? Wieviel Freiheit kann er als Komponist den Musikern lassen, ohne das Stück aus der Hand zu geben? Mit dieser Gratwanderung unternimmt Daniel Ott auch eine Positionsbestimmung zwischen dem konstruktionalen Komponieren seiner frühen Stücke, wie "zampugn" für 29 Glocken oder "molto semplicemente" für Akkordeon, und der konzeptuellen Musik, z.B. von Dieter Schnebel oder John Cage, mit der er sich auch als Interpret in den letzten Jahren intensiv beschäftigt hat.
"Das Komponieren kann ja etwas sehr Autoritäres haben, wenn alles bis ins letzte vorgeschrieben ist. Ich möchte nach dem gemeinsamen Improvisieren den Musikern jetzt nicht einfach eine fertige Partitur vorlegen, sondern dranbleiben an dem, was sie anbieten. Es ist sicher auch ein Wagnis, mit beiden Methoden im selben Stück zu arbeiten."
"ojota III" hängt unmittelbar mit den 5 Musikern zusammen, mit denen das Stück entstanden ist: Anna Clementi, Françoise Rivalland, Chico Mello, Simone Candotto und Christian Dierstein. Ihre Muttersprachen – Italienisch, Französisch, Portugiesisch, Friulan, Deutsch – durchziehen die Komposition. Durch ihre Erinnerungen bestimmen sie das Stück wesentlich mit.
"Wenn ich Musik träume, ist sie immer in Bewegung."
In "ojota III" geht es ums Gehen. Musik in Bewegung ist ein Thema, das für den "ojota"-Zyklus zentral ist. "ojota I" fand ursprünglich im Freien statt. Christian Dierstein musste dabei Strecken von 500 bis 600 Metern zurücklegen. Man hört die Musik kommen und gehen. In "ojota III" sind die Wege notwendig etwas kürzer, doch knüpft Daniel Ott an diese Vorstellung an: durch die lange Diagonale über die gesamte Bühne, dadurch, dass er nur tragbare Instrumente verwendet, dass die Musiker fortwährend ihre Positionen ändern, ständig unterwegs sind in diesem Assoziationsraum. Musik bewegt sich und wird bewegt. Musik als Zeitkunst. Bewegung als Maß der Zeit. Schritte als Maßeinheit. Schritt für Schritt.
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- Daniel Ott, Ojota III
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