Trotz der Wirbel, die sich im Wasser bilden, bleiben die musikalischen Materialien auf sich selbst fixiert, auf der Suche nach Knoten, die ihre Bestimmung festlegen. Die tönenden Objekte drehen sich so mit unvollkommenen Bewegungen um ihre eigenen Achsen und erzeugen damit eine kaleidoskopische Form.
Eintauchen ("Plongements"), entstanden im Jahre 2000, ist der Beginn eines Werkzyklus für Orchester, dessen grundsätzliches Prinzip eine evolutionäre Konzeption der Form ist: progressive Verwandlungen ein und desselben Tonmaterials, "morphing"-Effekte, bei denen musikalische Objekte unmerklich ihr Äußeres verändern, bis hin zur Unkenntlichkeit. Die orchestrale Schreibweise erlaubt mir, verschiedene Abläufe übereinander zu legen, die miteinander reagieren und sich mit unterschiedlichen Tempi verändern. Das wellenartige Modell beschäftigt meine musikalischen Gedanken schon seit einiger Zeit. Es drückt sich, in höchst emblematischer Form, im instrumentalen Gestus aus, der das Referenz-Objekt "zeichnet", aber auch durch Wellen in Stimmlagen, in Rhythmen und Texturen, die durch stabile harmonische Felder beleuchtet werden. In dieses harmonische, oft mikrotonale Umfeld werden die musikalischen Figuren immer wieder eingetaucht und verursachen Drehungen um sich selbst, verändern dabei aber auch die "Wasser-Landschaften".
Im Umfeld der Tores
Granulationen, Ondulationen und Abläufe
Seit mehreren Jahren reflektieren meine Werke die Absicht, eine dialogische Spannung zwischen Tonmaterial und Schrift zu erzeugen. Der Gedanke der Granulation, der all meine Stücke durchtränkt, verweist zunächst auf das Tonmaterial: Dieses ist, in seinen verschiedenen Texturen, seinen Übergängen in Angriff und Herrschaft hinausweisend über den expressiven Elan, das strukturelle Skelett meiner Werke. Im Gegensatz zu einem Vorgehen, das die Organisation der Höhen derjenigen der "Qualität der Oberflächen" vorzieht – welche nur passive Erscheinungen wären als Ergebnis einer mehr oder weniger gelungenen Zusammenstellung – ziehe ich vor, die Schrift denjenigen Zwängen unterzuordnen, die das instrumentale Tonmaterial auferlegt. Nun kann die Schrift – weit entfernt davon, vom musikalischen Fortgang des Werkes unberührt zu bleiben – sich jederzeit "befreien" und ihrerseits eine dynamische Prozedur generieren, was im Hören einen Wechsel des Winkels bewirkt, zugunsten einer diskreten Rezeption, wo zuvor eine globale vorherrschte.
Diese Prozesse erfahren mitunter beträchtliche Verbreiterungen, so dass die Zeit zu gefrieren scheint; es entsteht ein neuer Sinn im Granulationsgedanken: der der Zeit. Ein passendes Bild ist das der paradoxen Dimensionen: das Objekt als Punkt, der infolge von Verdickung oder Annährung zur Kugel wird, die ihrerseits vergrößert wieder zum Punkt wird. Der Ausgangspunkt hier ist die Fokussierung des Tonmaterials bis zu den Ton-Körnern (Granulation); diese erzeugen Schreibprozesse, die durch Dilatation oder zeitweilige Kontraktion zum Material zurückkehren, damit der Zyklus aufs Neue beginne...
Der "Tore" (taurodalische Figur) als geometrische Form erscheint mir am besten geeignet für die Beschreibung meines Vorgehens bei der Torsion von Material. Dieses "mathematische Luftbällchen" im methaphorischen, ja morphophorischen Sinn stellt das Entstehen begrenzter Zyklen sicher, eine Art rhythmischer, melodischer Krümmung von variabler Größe, Körnung, Dichte und Entwicklung; dennoch können sie in ihrem Inneren – obwohl sie Gleichgewichtsträger sind – zu Quellen der Instabilität werden, so also wird trotz einer Verwirbelung, eine Fluktuation oder manchmal sogar, durch die Überlagerung von mehreren ihrer pneumatischen Formen die ehemals errichtete Ordnung fast ungültig.
Die Form meiner Werke ist das Ergebnis kontinuierlichen Fließens mit unverdächtigen Variationen und Weiten in vollkommener Abhängigkeit von den anfänglichen Bedingungen. Hier ist die Metapher nicht mehr die Geometrie sondern das Lebendige als Anreger von Abläufen, in denen das musikalische Material in unvollkommenden Bahnen um seine eigene Achse rotiert und so eine "kaleidoskopische" Form erzeugt, wo die Spaltung der Elemente infolge der Erosion verschiedener Schichten am Ende eines Ablaufs Ausgangspunkt für einen neuen Zyklus wird. Diese Prozesse werden "ummantelt" von stabilen harmonischen Feldern, welche sich langsam und unmerklich entwickeln, wo die Verwendung von Vierteltönen dazu beiträgt, die Materie zu irisieren und die Begriffe vom Klangfarbe und Harmonie vieldeutig werden.
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- Donaueschinger Musiktage 2003
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- Ricardo Nillni, Plongements für großes Orchester