Manos Tsangaris im Gespräch mit Armin Köhler
Armin Köhler:
Drei Räume Theater Suite. Was darf sich der unvoreingenommene Besucher unter diesem Titel vorstellen?
Manos Tsangaris:
Der Titel ist für mich so eine Art mehrdimensionales Kreuz. Er bezieht sich zunächst einmal auf die grundsätzlichen Raumstrukturen der F.F. Hofbibliothek in Donaueschingen: Die untere Ebene, das ist das Kellergewölbe, dann die Vertikale, das ist das Treppenhaus, und schließlich das Obergeschoss der Bibliothek, das wäre der dritte Raum. In diesen Bereichen finden sich insgesamt circa zehn Bühnensituationen, die miteinander verschaltet sind. Daher auch der Verweis auf die Suite im Titel. Das Publikum wird die einzelnen Stationen nur in sehr kleinen Gruppen erleben können. Wenn die eine Gruppe die eine Spielstätte besucht, befindet sich im Nachbarraum schon der vorherige Publikumsblock. Die beiden Stücke laufen dann parallel und synchronisiert ab. Drei Räume meint aber auch jene drei Räume, die innerhalb der Komposition miteinander modulieren. Einmal der konkrete architektonische Raum, in dem wir uns gerade befinden, dann der musikalische Raum – gemeint ist hier die Musik des Hörens und des Sehens – und drittens der innere Raum des Rezipienten, der das Stück kurzschließt, den Kreisschluss erstellt, der es erst zu einem Musiktheaterstück werden lässt. Die Komposition der Beziehung dieser drei Räume ist wesentlicher Teil der Arbeit.
Armin Köhler:
Die vielen kleinen Elemente deines Entwurfs verstehen sich mithin nicht als autonome Installationen, sondern sind vielmehr in einen konkreten Handlungskontext eingebettet...?
Manos Tsangaris:
Genau. Thematisiert in der Drei Räume Theater Suite sind im physisch-praktischen wie im geistigen Sinne sowohl die Donaueschinger Musiktage selbst als auch der sich ausbreitende Raum eines Festivals an sich.
Allerdings in einer völlig frei assoziativen Form und hyperbolisch nach innen gestülpt, so dass bestimmte "Agenten" aus dem echten Festivalleben innerhalb dieses Hauses erscheinen und miteinander in Beziehung treten, so, wie es im großen Festival auch der Fall ist. Korrespondenzen gibt es in der Drei Räume Theater Suite mithin über die räumliche Situation hinaus auch bei den "handelnden" Figuren, wie z.B. dem Fürsten im Obergeschoss und dem Intendanten des Festivals unten im Keller. Das wäre die Vertikale. Da sind aber auch die horizontalen Verbindungen zwischen einzelnen "Spielstätten", vom Fremdenverkehrsamt, eigentlich die erste Station des Festivals, bis zur Baar-Sporthalle etwa, also Orte und Situationen, die für den Benutzer in irgendeiner Form maßgeblich sind. Das ist ja per se ein Stationentheater, per se auch eine Suite, wie ein Besucher diesen "Raum Donaueschingen" erläuft und erwandert.
Armin Köhler:
Du hast im Vorfeld ja auch von einem "Reality-Musiktheater" gesprochen, was ich angesichts unserer Medienlandschaft recht interessant fand...
Manos Tsangaris:
Ja genau. ... Mit "reality" meine ich selbstverständlich einen romantisch-ironischen Zugriff. Ich beziehe mich damit auf das so genannte "Reality-TV-Format", also jenes Fernsehen, das im Moment nicht nur im Kommen, sondern schon sehr stark präsent ist. Hier wird uns ja die Realität bereits als eine unglaublich verzerrte, manipulierte und auch kompromittierende Gegenwart präsentiert.
Denken wir nur an die berühmten Big Brother und Insel und... dergleichen Ereignisse, die als "Reality-Shows" daherkommen... Es scheint ja nach demoskopischen Gesichtspunkten abzulaufen, dass wahnsinnig viele solcher Sendungen täglich über den Bildschirm flimmern. Bald werden wir hier in Europa Shows auf dem Programm haben, die es in den Staaten schon längst gibt, wo Menschen ihren eigenen Körper "renovieren" lassen wollen/sollen. Man bewirbt sich, ist höchst glücklich, unterschreibt ein Papier, dass man innerhalb von drei Monaten komplett kosmetisch-chirurgisch behandelt wird und darf dann erst nach dieser Zeit wieder in den Spiegel schauen. Natürlich erkennt man sich selber nicht mehr wieder und findet sich dennoch oder gerade deshalb wahnsinnig schön. Das gibts ja alles schon. Das muss man nicht einmal erfinden. Das ist die Realität. Realität?
In Drei Räume Theater Suite stelle ich im Kern die Frage, was denn Realität sei. Und meine damit sowohl die Realität solch eines Festivals als auch die Realität dieser theatral geschalteten Situation, in der man sich in der Donaueschinger Hofbibliothek befindet, die einzelnen Situationen auch, in die man geführt wird innerhalb dieses Stücks.
Armin Köhler:
Eines Stückes, das aus einer Folge von Miniaturen besteht. Miniaturen haben ja in Deinem Schaffen eine lange Tradition...
Manos Tsangaris:
Hierzu möchte ich zunächst einmal anführen, dass das Wort "Miniatur" mit Verkleinerung, mit "minimal", zunächst gar nichts zu tun hat. Als Wortstamm geht es vielmehr auf Minium zurück, was auf das Mineral Zinnober, also Zinnoberrot verweist. Ursprung sind die mittelalterlichen Handschriften mit ihren Initialen, also jene Buchstaben in Zinnoberrot, in die dann die Bildminiaturen integriert sind. In der Musik ist es ohnehin schwieriger zu klären, was eine "Miniatur" ist. Ist die über fünf Stunden gehaltene Quint von La Monte Young eine Miniatur in dem Sinne, dass sie sozusagen ganz lang und flach ist, sich also nur horizontal ausdehnt? Sind die fünf Orchesterstücke von Webern Miniaturen... oder die Bagatellen für Streichquartett? Was heißt klein, was heißt groß? Alles ist relativ.
Ab einem bestimmten Moment in meiner kompositorischen Entwicklung, relativ früh, habe ich mich daher nur noch für die Frage von Ferne und Nähe auf der inneren Bühne des Rezipienten interessiert. Dies vor dem Hintergrund der Präsenz des Fernsehers, des Radios und all dieser technischen Mittel, die uns das Entfernteste in die allernächste Nähe gerückt haben. Was die Schaltungen so mit uns anstellen! Schaltungen außen, die man ein-, aus- und umschalten kann, und Schaltungen zwischen uns – und innen, wie es in mir schaltet. Ohne diese eingeschaltete Präsenz des Fernen, des Entfernten, das so mittelbar nah gerückt ist, hätte ich niemals begonnen, auch im musiktheatralischen Zusammenhang, den Rezipienten als Schnittpunkt aller kompositorischen Linien auf seiner inneren Bühne zu bespielen und die Paramatrix der ihn umgebenden einfangenden Schaltung in den Mittelpunkt meiner Stücke zu rücken, die sich übrigens oft wie Schaltkreise verhalten, eine Art filmischer Prozess im mehrdimensionalen Raum, wobei die physische Präsenz und örtliche Bestimmung des Einzelnen als Voraussetzung mitkomponiert wird: Wo genau befindet sich der Guckhörer, wenn das Stück läuft!? Und das hat dazu geführt, dass das Verhältnis von Stück und Publikum umgedreht wurde. Das minimale Publikum sitzt im Zentrum der Aufführung. Schon 1980 habe ich ein Stück geschrieben für nur eine Person im Publikum. (Übrigens eines, das auch nur ein einziges Mal aufzuführen war.) Auf diese Weise ist die Frage von Nähe und Entfernung ganz anders zu behandeln. Z.B. dieses Winzig aus Winzig, das Titelstück eines Zyklus von Musiktheaterminiaturen von 1993, ist ein Hören und Sehen übergreifendes und gestaltendes serielles Werk. Da habe ich versucht, diese Untersuchung, was geschieht, wenn Hören, Sehen und räumliche Situierung aufeinandertreffen und miteinander spielen, sozusagen einmal systematisch durchzuführen. Und aus diesen Versuchsanordnungen ergeben sich dann ungeheuer viele Formatfragen. Von Schlüssellochguck-Situationen über Miniguckkästen, quasi wie Bühnenmodelle, bis zu "natürlichem" dolby surround... im Sinne von: Ich sitze in der Mitte und es ist ein großer Raum und das Ensemble sitzt drum rum, ja und die ganzen Fragen in Bezug auf Helligkeit und Dunkelheit und der kompositorischen Verwendung von Lichtquellen usw....!
Und immer denke ich den Ort der einzelnen Person von vornherein idealtypisch mit. Beim Schreiben bin ich der idealtypische Rezipient, Hörbetrachter. Ich gucke durch Gucklöcher, ich gucke in Kästen, ich werde in einen Raum geführt und genau an diese Stelle positioniert. Womöglich sitzt neben mir jemand, der mir etwas ins Ohr flüstern kann während des Stücks, während ich eine imaginäre Ferne, wenn auch nur auf ein paar Meter, also illusionistisch, wahrnehme und selber miterzeuge, sofern die Proportionen stimmen. Miniatur also. Und jetzt mal konventionell gedacht. Es ist ja so, dass ich im Raum der Miniatur Ferne und Nähe, also Weite und Enge, mindestens genauso imaginieren kann wie innerhalb epischer Formate. Also ich finde die eben schon genannten kurzen Orchesterstücke von Webern erzeugen ja einen solch wahnsinnigen Raum, fast kosmischen Raum, auch durch ein Nicht-Überfüllen, durch ein proportionales Setzen.
Armin Köhler:
Wie sind sie überhaupt zu charakterisieren, deine Entwürfe, welches Genre ...?
Manos Tsangaris:
Ich behelfe mir da seit Jahrzehnten mit Hilfswörtern wie Musiktheater, komponiertes Ereignis, szenische Installation, Konzert-Installation, Musiktheater-Miniatur, plastisches Musiktheater. Aber das sind alles so Worte – keines trifft wirklich zu. Die Nichtdokumentierbarkeit dieser Stücke, die ja evident ist, spiegelt sich auch in der Nichttrefflichkeit bestimmter Begriffe und Wörter. Und ich will nicht als besonders heldenhaft erscheinen an dieser Stelle, aber eins war von vornherein ganz klar. Diese Arbeiten sind jenseits des theatralen Raums nicht dokumentierbar. Und deshalb gibt es von mir bis heute keine DVDs, es gibt keine – was das Naheliegendste wäre – CD-Veröffentlichungen. Wenn man so will, ist es ein Wunder, dass ich noch existiere.
Armin Köhler:
Ja, und dann das Spielerische, dass du aus dem Alltag herausbrichst, neue Räume öffnend...
Manos Tsangaris:
Das Spielerische erwächst bei mir vielleicht aus dem täglichen Grundstaunen heraus. Ich bin ein Mensch, der, wenn er wach wird, staunt, dass er wach wird. Ich kann mir also deine Hand da auf dem Tisch und deine Füße angucken, und mir erscheint das alles nicht selbstverständlich. Die meisten Leute bemerken dies erst, wenn sie sich in aller Härte bewusst werden, dass sie sterblich sind. Mir war sehr früh klar, dass ich für meine Arbeiten einfache, bisweilen auch spielerisch anmutende Materialien nehmen musste, die von sich aus erst mal arm und unscheinbar sind. Eine Lampe oder zwei Lichtquellen etwa, ein Glas, ein Mensch als Akteur. Das ist wahnsinnig viel, wenn ich damit kompositorisches Denken sicht- und hörbar, erfahrbar und wirksam machen will. Deshalb also die Wahl solch einfacher und profaner Mittel. Hier würde eine Geige nur stören. In anderen Fällen ist sie natürlich eine ungeheure Bereicherung.
Ich versuche immer, die wenigen Elemente in satzbildende Verhältnisse zu setzen und miteinander zu konjugieren. Dieses Ereignis unterteilt sich dann nicht mehr in Sehen und Hören. Automatisch nicht. Das ist das plastische Element, wie ich es verstehe. Joseph Beuys hat ja die Musik sinngemäß als die "höchste plastische Kunst" bezeichnet. Das kam nicht von ungefähr. Auch für ihn war wohl dieses plastische Moment, die Formbarkeit, die Identität und das In-eins-Fallen der Mittel, so nenne ich das jetzt mal, absolut wichtig. Und irgendwo verstehe ich mich ja ein bisschen in dieser Tradition.
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