Donaueschinger Musiktage 2009 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2009: "Batsheba. Eat the history!"

Stand
Autor/in
Manos Tsangaris

Täuschung, Entfremdung, Begehren, Prothetik und Kannibalismus sind die thematischen Elemente, die Manos Tsangaris' szenisches Orchesterprojekt für die diesjährigen Donaueschinger Musiktage bestimmen. Das Stück ordnet seine theatrale Disposition als ein Stationentheater innerhalb des Festivals an fünf Orten der Stadt Donaueschingen, das sukzessive über zwei Tage weg in Versuchsanordnungen gestaffelt ist.

"Batsheba. Eat The History!" verschaltet Orte, Musiker, Räume und zwei Stoffe. Auf der einen Seite einen historischen Stoff aus der hebräischen Bibel und auf der anderen einen zeitgenössischen aus der Feder des Komponisten. "Batsheba im Bade" ist eine Verführungs- und Mordgeschichte um König David und Betsheba als Objekt der Begierde. "Chatroom Double" von Tsangaris beruht auf einem realen Internetchat, in dem zwei Menschen sich über das Internet aus großer Entfernung verlieben, um am Ende in größter Nähe der Gewalt zu verfallen. Die beiden Stoffe laufen parallel und teilweise synchronisiert ab. Das doppelgesichtige Stück transponiert seinen Zwillingscharakter permanent und latent ins Innere seiner Struktur, nicht nur durch mehrfache Doppelbesetzungen, Zwillingsaufbau von Szenen- und Raumsituationen (und deren weitere Unterteilungen), sondern auch in der polyphonen Anlage unterschiedlicher Kunstformen. Die Frage nach den Genres stellt sich angesichts des erzählten Stoffes neu.

Die Handlungsstränge erzählen von den abgespaltenen Wünschen, Träumen und Identitäten ihrer Protagonisten – ein nur auf dem ersten Blick heiteres Spiel, das sogar einen Wellness-Bereich und kulinarische Genüsse für das Publikum vorsieht.

Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde. Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben, und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast! Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede (...) Da tat ich meinen Mund auf, und er gab mir die Rolle zu essen und sprach zu mir: Du Menschenkind, du musst diese Schriftrolle, die ich dir gebe, in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.
Hesekiel 2, 8-10; 3, 1-3

Davids Ehebruch mit Bathseba und Blutschuld (2. Buch Samuel, Kapitel 11) in der Übersetzung Martin Luthers

Und da das Jahr um kam, zur Zeit, wann die Könige pflegen auszuziehen, sandte David Joab und seine Knechte mit ihm und das ganze Israel, daß sie die Kinder Ammon verderbten und Rabba belagerten. David aber blieb zu Jerusalem. Und es begab sich, daß David um den Abend aufstand von seinem Lager und ging auf dem Dach des Königshauses und sah vom Dach ein Weib sich waschen; und das Weib war sehr schöner Gestalt. Und David sandte hin und ließ nach dem Weibe fragen, und man sagte: Ist das nicht Bathseba, die Tochter Elians, das Weib Urias, des Hethiters?

Und David sandte Boten hin und ließ sie holen. Und da sie zu ihm hineinkam, schlief er bei ihr. Sie aber reinigte sich von ihrer Unreinheit und kehrte wieder zu ihrem Hause.

Und das Weib ward schwanger und sandte hin und ließ David verkünden und sagen: Ich bin schwanger geworden. David aber sandte zu Joab: Sende zu mir Uria, den Hethiter. Und Joab sandte Uria zu David. Und da Uria zu ihm kam, fragte David, ob es mit Joab und mit dem Volk und mit dem Streit wohl stünde? Und David sprach zu Uria: Gehe hinab in dein Haus und wasche deine Füße. Und da Uria zu des Königs Haus hinausging, folgte ihm nach des Königs Geschenk. Aber Uria legte sich schlafen vor der Tür des Königshauses, da alle Knechte seines Herrn lagen, und ging nicht hinab in sein Haus. Da man aber David ansagte: Uria ist nicht hinab in sein Haus gegangen, sprach David zu ihm: bist du nicht übers Feld hergekommen? Warum bist du nicht hinab in dein Haus gegangen? Uria aber sprach zu David: Die Lade und Israel und Juda bleiben in Zelten, und Joab, mein Herr, und meines Herrn Knechte liegen zu Felde, und ich sollte in mein Haus gehen, daß ich äße und tränke und bei meinem Weibe läge? So wahr du lebst und deine Seele lebt, ich tue solches nicht.

David sprach zu Uria: So bleibe auch heute hier; morgen will ich dich lassen gehen. So blieb Uria zu Jerusalem des Tages und des andern dazu. Und David lud ihn, daß er vor ihm aß und trank, und machte ihn trunken. Aber des Abends ging er aus, daß er sich schlafen legte auf sein Lager mit seines Herrn Knechten, und er ging nicht hinab in sein Haus.

Des Morgens schrieb David einen Brief an Joab und sandte ihn durch Uria. Er schrieb aber also in dem Brief: Stellet Uria an den Streit, da er am härtesten ist, und wendet euch hinter ihm ab, daß er erschlagen werde und sterbe.

Als nun Joab um die Stadt lag, stellte er Uria an den Ort, wo er wußte, daß streitbare Männer waren. Und da die Männer der Stadt herausfielen und stritten wider Joab, fielen etliche des Volks von den Knechten Davids, und Uria, der Hethiter, starb auch. Da sandte Joab hin und ließ David ansagen allen Handel des Streits und gebot dem Boten und sprach: Wenn du allen Handel des Streits hast ausgeredet mit dem König und siehst, daß der König sich erzürnt und zu dir spricht: Warum habt ihr euch so nahe zur Stadt gemacht mit dem Streit? Wißt ihr nicht, wie man pflegt von der Mauer zu schießen? Wer schlug Abimelech, den Sohn Jerubbeseths? Warf nicht ein Weib einen Mühlstein auf ihn von der Mauer, daß er starb zu Thebez? Warum habt ihr euch so nahe zur Mauer gemacht? so sollst du sagen: Dein Knecht Uria, der Hethiter, ist auch tot. Der Bote ging hin und kam und sagte an David alles, darum ihn Joab gesandt hatte. Und der Bote sprach zu David: Die Männer nahmen überhand wider uns und fielen zu uns heraus aufs Feld; wir aber waren an ihnen bis vor die Tür des Tors; und die Schützen schossen, von der Mauer, auf deine Knechte und töteten etliche von des Königs Knechten; dazu ist Uria, der Hethiter, auch tot. David sprach zum Boten: So sollst du zu Joab sagen: Laß dir das nicht übel gefallen; denn das Schwert frißt jetzt diesen, jetzt jenen. Fahre fort mit dem Streit wider die Stadt, daß du sie zerbrechest, und seid getrost. Und da Urias Weib hörte, daß ihr Mann, Uria, tot war, trug sie Leid um ihren Eheherrn. Da sie aber ausgetrauert hatte, sandte David hin und ließ sie in sein Haus holen, und sie ward sein Weib und gebar ihm einen Sohn. Aber die Tat gefiel dem HERRN übel, die David tat.

Chatroom MurderAufführung für zwei Publika – Rücken an Rücken –, die später tauschen.

Tom David, ein 47 Jahre alter Rechtsanwalt, lernt in einem Chatroom die 43 Jahre alte Betty S. kennen, die er physisch nie getroffen hat oder treffen wird. Die beiden verlieben sich im Cyberspace. T. gibt vor, ein 18-jähriger zurückgekehrter Soldat zu sein. S., im echten Leben Hausfrau und Mutter einer 17-jährigen Tochter, lügt ebenfalls und bedient sich der Identität ihrer eigenen Tochter, inklusive deren Fotos im Bikini und ihres Namens Jessica.

Eineinhalb Jahre lang treffen die beiden sich ausschließlich im Internet. Ab und zu nur schickt Betty S. ein Paket an ihren Geliebten. Eines davon wird von der Ehefrau des Mannes abgefangen. Sie informiert die Absenderin, dass ihr Mann keineswegs 18 Jahre alt und steinreich sei, sondern 47, Vater zweier Kinder und verheiratet – nämlich mit ihr. Betty S. bleibt daraufhin immer noch in Deckung und in der Identität ihrer Tochter. Bei Recherchen über Tom D. lernt sie – wieder im Internet – einen echten 22-Jährigen kennen, Bernd, einen Arbeitskollegen von Tom, der sich ebenfalls in sie verliebt, ohne ihrer je angesichtig geworden zu sein. Betty B. spielt mit den beiden Konkurrenten, und deren Eifersuchtskampf steigert sich ins Unermessliche. Nicht nur, dass der Ältere um den jüngeren Konkurrenten weiß, sondern sein Zorn wird auch noch bewusst provoziert – er wird gemobbt. Schließlich, nach exzessiven Verwicklungen in nächtelangen, ermürbenden Chat-Korrepondenzen, trifft er sich mit Bernd, seinem Konkurrenten...

Stand
Autor/in
Manos Tsangaris