Donaueschinger Musiktage 2005 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2005: "Tschappina-Variationen"

Stand
Autor/in
Klaus Ospald

Hinter dem Namen meines Werkes verbirgt sich kein Geheimnis: Wer sich etwas in der Schweiz auskennt, hat den Namen dieses Ortes vielleicht schon einmal gehört, wenn nicht, werde ich ihn auf keinen Fall verraten...

Ich stehe hier einfach in einer Tradition der lapidaren Benennung, so wie die Londoner Sinfonien von Joseph Haydn oder die Preussischen Sonaten von Carl Philipp Emanuel Bach. Und dennoch: Es gibt Momente beim Komponieren, wo einem, ausgelöst durch Unaufmerksamkeiten, Szenarien durch den Kopf jagen, mit denen man nicht gerechnet hat: So ging Beethoven pfeifend vor dem Fenster vorbei, und ich war überrascht, denn ich hätte nie in Tschappina mit ihm gerechnet.

Ich nahm es als Aufforderung und verstand: Da Beethoven sich nicht mehr wehren kann – ich erinnere nur an die Europahymne, die sich gnadenlos der Neunten Sinfonie bedient, so, als wäre Europa eine schunkelnde Großfamilie, die, ruiniert und zerrüttet, sich mit Großem groß fühlen will-, sollte ich für ihn einspringen; die Rücksichtslosigkeit der Vereinnahmung seiner Musik wird an einer zentralen Stelle meines Werkes mit satirischem Gelächter gerächt: Drei Klarinetten spielen u.a. mit erhobenen Schalltrichtern: "...laufet, Brüder, eure Bahn, freudig, wie ein Held zum Siegen...".

Vielleicht ist diese Aussage die eigentliche Botschaft vieler Herrschenden, derweil andere noch leutselig in "Freude schöner Götterfunken" baden, die Funken geschrumpft zu einer IKEA-Kerze.
Aber das ist typisch für Gesellschaftsstrukturen, die all das, was den Stachel des Inkommensurablen birgt, nicht zulassen können: Und so geriet auch die Neunte unters Messer; der Skalp der "Freude "als Zeichen des Sieges über einen unbändigen Geist.

Die Natur ist doch der "Götterfunken", und somit von all den Komponisten gesucht, die spüren, dass der Mensch, der aus dem Nichts kommt und im Nichts verschwindet, der von Vernunft redet immer dann, wenn es darum geht, gnadenlos Eigeninteressen durchzusetzen, an denen noch genügend Schmarotzer kleben, der von Zivilisation und Bewusstsein (wovon?) spricht (wenn weltpolitisches Handeln bewusst erfolgt, wer klärt das Bewusstsein über das Bewusstsein auf?), dass eben dieser Mensch ein Augenaufschlag der Natur ist, die ihn jederzeit hinwegfegen kann, wie ein Windstoß eine Kakerlake (wobei die wahrscheinlich gerade nicht...).

Und so bleibt eine Erinnerung an meine "Schweizer Bank", auf der ich saß, auf kuhfreundlichem Boden, vor mir der Elektrozaun, hinter mir sich in die Tiefe stürzende, Pedal tretende Wesen und mit mir unzählige Fliegen, die, wie ich in schönster Höhe, glücklich ins Tal hinunterschauen...

Stand
Autor/in
Klaus Ospald