Anton Bruckner hatte über hundert Schüler, die bei ihm Orgel und Klavier lernten oder Kontrapunkt und Harmonielehre paukten, teils im Privatunterricht, teils an der Wiener Universität. Drei segensreiche Institutionen haben sich nun zusammengetan, um im Bruckner-Jahr einige dieser brucknerischen Fußnoten zum Klingen zu bringen.
Zu männlich? Zu weiblich? Die Musik von Bruckner-Schülerin Mathilde Kralik
„Ein Talent von auffallend männlichem Charakter“, bemerkt Eduard Hanslick, als er dieses Klaviertrio hört: „Trotzige Motive! Gewagte Modulationen!“ Das ist ein vergiftetes Kompliment. Der berühmte Musikkritiker schlussfolgert: So etwas sei regelwidrig.
Eine „blos weibliche Handarbeit…“ So urteilt ein anderer Kritikerkollege. Zu männlich, zu weiblich? So oder so, es hagelte damals, im Jahr 1880, nichts als Verrisse für Mathilde Kralik. 22 Jahre jung, eine Komponistin mit Diplom und Auszeichnung. Vielleicht konnte sie es keinem recht machen, weil sie einfach zu gut war für die ihre Welt.
Mathilde Aloisia Kralik von Meyrswalden heißt die Komponistin dieses Klaviertrios mit vollem Namen. Gebürtig aus Linz, als hochbegabte Tochter aus gutem Hause früh gefördert, siedelte ihre Familie mit ihr, als sie 13 war, nach Wien über.
Mathilde wurde erst Privatschülerin bei Anton Bruckner. Dann wurde sie aufgenommen ans Wiener Konservatorium, wo sie Bruckners Kurse in Kontrapunkt und Harmonielehre belegte. Mitstudenten waren unter anderem Hans Rott, Hugo Wolf und Gustav Mahler. Beim Abschluss-Examen errangen nur zwei aus ihrem Jahrgang einen Ersten Preis: Mahler und sie. Kein Wunder, dass Mathilde Kralik es anfangs schwer hatte in der Öffentlichkeit!
Zu viel für die konservative Wiener Brahmsfraktion
Eine aus dem Bruckner-Stall! Eine Frau, die neue Formen wagt, Choräle liebt und Wagners Harmonik. Das war zu viel für die konservative Wiener Brahmsfraktion. Dieses umstrittene Klaviertrio F-Dur, eines von Kraliks Erstlingswerken, ist jetzt erstmals eingespielt worden auf CD vom TONALI-Trio, auf Initiative des Brucknerhauses Linz.
„Musik von SchülerInnen Anton Bruckners“ heißt dieses sensationelle Album. Es ist das erste Mal, dass mir so ein Titel begegnet auf einem Plattencover – und ich als Frau erwarte bei diesem schönen Gender-Plural natürlich, dass es noch mehr weibliche Schüler Bruckners auf dieser CD zu entdecken gibt. Aber das ist irreführend.
Ansonsten nur männliche Bruckner-Eleven
Ansonsten sind auf dieser CD nur männliche Jünger Bruckners vertreten. Und die sind nicht halb so interessant. Da gibt es, erstens: ein Klaviertrio in E-Dur von dem aus Breslau stammenden Paul Caro, der es sich leisten konnte, seine Stücke im Selbstverlag herauszugeben.
Zweitens: Auch Brucknerschüler Franz Marschner ist vertreten, mit einem ehrgeizigen, eher symphonisch gebautes Klaviertrio in c-moll:
Drittens gibt es ein Klavierstück in As-Dur von Cyrill Hynais zu erleben. Der tat sich als Adlatus und Kopist Bruckners hervor, er hat die Drucklegung von dessen 1.Symphonie betreut. Schließlich, viertens, Klaviervariationen von einem gewissen Alfred Stroß.
Da hat das Bruckner-Jahr wirklich etwas gebracht
Das Highlight auf dieser CD mit Werken von Schülern Anton Bruckners aber ist tatsächlich die Ersteinspielung des Klavier-Trios von Mathilde Kralik von Meyrswalden. Diese Komponistin hatte einen eigenen Kopf. Sie spielte eine wichtige Rolle im Wiener Musikleben. Und hinterließ ein reiches Œuvre: über 250 Kompositionen, darunter drei Opern, außerdem Messen, Konzerte, Chor- und Kammermusiken.
All das schlummert heute in der österreichischen Nationalbibliothek. Ab und zu hat die Musikwissenschaft schon an diesen Schatz erinnert, etliches liegt sogar im Druck vor. Auch die Sängerin Marlis Petersen oder der Tenor Donald George machten sich schon für Mathilde Kraliks Lieder stark.
Und jetzt: Das fabelhaft vitale, junge TONALI-Trio, an der Spitze die Geigerin Johanna Ruppert, daneben der Cellist Christoph Heesch und der Pianist Alexander Vorontsov. Die drei haben sich eigens für dieses Album zusammengefunden, es ist ihr Debut. Und was die Wiederentdeckung von Mathilde Kralik angeht: Da hat das Bruckner-Gedenkjahr mal endlich wirklich etwas gebracht.
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#zusammenspielen - freie Musiker*innen für SWR2 Bruckner im Taschenformat: Das Stuttgarter Ensemble Balance
Über 80 Musiker*innen sind normalerweise auf der Bühne, wenn Anton Bruckners 7. Sinfonie aufgeführt wird. Das Stuttgarter Ensemble Balance ist mit 11 Instrumentalist*innen angetreten, um das Werk in einer kammermusikalischen Fassung aufzunehmen. Dirigentin Friederike Kienle stellt die Musik vor.
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„Ein ewig Rätsel will ich bleiben …“, dieses berühmte Zitat Ludwigs II. trifft auch auf den österreichischen Komponisten Anton Bruckner zu. Insbesondere weil dessen Symphonien als die größten Mysterien der romantischen Symphonik bezeichnet wurden. Heute gilt Anton Bruckner als der innovativste Tonschöpfer seiner Zeit. Anlässlich seines 200. Geburtstags steht er im Mittelpunkt, auch mit vielen neuen Publikationen: Der österreichische Autor Florian Sedmak hat sich auf Spurensuche begeben. Dorothea Hußlein hat sich für uns damit beschäftigt.
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