- Heiliger Ort der Romantik
- Wie klingt eigentlich der Wald?
- Schauplatz für Schauergeschichten
- Ein Ort der intimen Gefühlswelten
- Mit Halali auf zur Jagd
- Ideologischer Neubeginn durch Aufforstung
- Wenn der Wald zur Ruhe kommt
SWR2 Musikstunde Waldszenen (1-5)
Mit Jan Ritterstaedt
Heiliger Ort der Romantik
Geht nicht in den Wald, denn dort lauern wilde Tiere und raue Halunken. Über Jahrhunderte galt der Wald als düsterer Ort, von dem man sich am besten fernhält. Dann entdeckte die deutsche Romantik den Wald als Sinnbild des ursprünglich Deutschen, auch wenn er schon im 19. Jahrhundert alles andere als ursprünglich war.
Robert Schumann widmet dem deutschen Wald mit seinen „Waldszenen“ einen idyllischen Zyklus von neun Klavierstücken. Als Hörer*innen begleiten wir den Komponisten auf einen ausgedehnten Spaziergang.
Ehrfürchtig betreten wir den Wald, treffen wir auf eine Jagdgesellschaft, betrachten vereinzelte Blumen am Wegesrand, entdecken ein belebtes Wirtshaus und lauschen schließlich dem prophetischen Gezwitscher eines Waldvogels, vielleicht eines Kauzes.
Robert Schumann: „Eintritt in den Wald“ aus „Waldszenen“ op. 82
Wie klingt eigentlich der Wald?
Auch Franz Liszt lauscht ganz tief in den Wald hinein. Was er hört? Plätschernde Bächlein, tirilierende Vögel und natürlich das Rascheln des Windes in den Baumkronen. Doch bald hebt das sanfte Säuseln zu einem ausgewachsenen Sturm an. Beinahe meint man die Bäume im Wind ächzen zu hören.
Kein Wunder bei einer Komposition des großen Klaviervirtuosen Franz Liszt: Das „Waldesrauschen“ verlangt nicht nur den Bäumen einiges an Biegsamkeit und Wendigkeit ab, auch die Pianistinnen und Pianisten, die sich dieser Konzertetüde stellen, sollten einiges an Konzentration und Fingerfertigkeit mitbringen.
Franz Liszt: „Waldesrauschen“ Des-Dur aus Zwei Konzertetüden
Internationaler Tag des Waldes Der Wald als „typisch deutsche“ Landschaft: Erst romantisiert, dann instrumentalisiert
Vielen gilt der Wald als „typisch deutsche“ Landschaft. Dabei ist diese Vorstellung ein Mythos: In der Romantik als Inbegriff der Ursprünglichkeit verklärt, gilt der deutsche Wald später als Nationalsymbol und wird politisch instrumentalisiert. Auch für Künstler wird er zur Projektionsfläche.
Schauplatz für Schauergeschichten
Wenn das Dickicht immer undurchdringlicher wird, dann wird der Wald schließlich doch zur Szenerie für düstere Legenden. Gruselgeschichten, die man sich nicht erst heute mit freudiger Gänsehaut am Lagerfeuer erzählt.
Diesem schaurigen Wald widmet sich Alexander von Zemlinsky im Lied „Waldgespräch“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Joseph von Eichendorff. Ein junger Mann irrt durch den Wald, dann begegnet ihm in der Dämmerung eine Frau zu Pferde. Er will sie nach Hause führen, doch sie ruft ihm zu:
„Groß ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh! Du weißt nicht, wer ich bin.“
Die schöne Frau ist niemand geringeres als die Hexe Lorelei, eine der beliebtesten Sagengestalten der Romantiker. Doch statt die Rheinschiffer von ihrem Felsen aus in die Fluten zu schicken, zieht sie hier den einsamen Wanderer in die Tiefe des Waldes. Das Ergebnis ist für den Unglücklichen das gleiche.
Alexander von Zemlinsky: „Waldgespräch“
Ein Ort der intimen Gefühlswelten
In Zemlinskys schauerlicher Waldstimmung fand sich seine Schülerin Alma Schindler nicht wieder. Zwischen dem Komponisten und seiner Elevin entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die erst erkaltete, als Zemlinsky von ihr forderte, sich für ihn aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Alma heiratete schließlich den 19 Jahre älteren Gustav Mahler.
Nur siebzehn Lieder aus der Feder von Alma Mahler-Werfel haben die Zeit überdauert. In „Waldseligkeit“ nach einem Gedicht von Richard Dehmel zeichnet die Komponistin den Wald als einen lebensbejahenden Ort, der die Fantasie von Liebenden beflügelt – und vielleicht noch ein bisschen mehr als nur die Fantasie.
Alma Mahler-Werfel: „Waldseligkeit“
Mit Halali auf zur Jagd
Bevor der Wald aber der Sehnsuchtsort für Intimitäten wurde, war er vor allem ein Ort, wo sich die hohen Herrschaften bei der Jagd die Zeit vertrieben und mit Wild die Speisekammern füllten. Feucht-fröhlich ging es da gerne bei den Jagden zu – eine Stimmung, die nicht zuletzt auch den Lebemann Wolfgang Amadeus Mozart beflügelt haben dürfte.
Ob es tatsächlich die Signalrufe des Waldhorns waren, die den Salzburger Komponisten zum Streichquartett KV 458 bewegt haben, ist nicht gesichert überliefert. Seine Zeitgenossen erkannten zumindest das Waldhorn darin und nannten das vergnügliche Quartett kurzerhand „Jagdquartett“.
Wolfgang Amadeus Mozart: „Jagdquartett“ B-Dur KV 458, 1. Satz: Allegro vivace assai
Ideologischer Neubeginn durch Aufforstung
Als im 20. Jahrhundert die Kriege über Europa wüten, ist auch der Wald nicht davor gefeit. Josef Stalin beginnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein großes Wiederaufforstungsprogramm und nutzt es propagandistisch als Sinnbild des Neuanfangs unter dem Sozialismus.
Entsprechend ideologisch sind auch die Texte, die Jewgeni Dolmatowski für Schostakowitschs Oratorium „Das Lied von den Wäldern“ schreibt: Stalin wird hier zum Schöpfer eines neuen sozialistischen Zeitalters, getragen von üppigen Volkschören.
Dmitrij Schostakowitsch: „Zukünftiger Spaziergang“ aus „Das Lied von den Wäldern“ op. 81
Wenn der Wald zur Ruhe kommt
Wenn die Dämmerung hineinbricht, dann kommt der Wald zur Ruhe. Besonders einen Wald hatte Antonín Dvořák bei seiner Komposition „Waldesruhe“ im Kopf: den Böhmerwald seiner tschechischen Heimat. Ihm widmete er seinen sechsteiligen Klavierzyklus „Aus dem Böhmerwalde“.
Bevor Dvořák 1892 in die Neue Welt aufbricht, gibt er in der Heimat noch eine Abschiedstournee. Er selbst spielt als Pianist, begleiten sollen ihn der Geiger Ferdinand Lachner und der Cellist Hanus Wihan. Für letzteren arrangiert er das ursprüngliche Klavierstück um: zunächst für Cello und Klavier, später für Cello und Orchester.
Antonín Dvořák: „Waldesruhe“ op. 68