Internationaler Tag des Waldes

Der Wald als „typisch deutsche“ Landschaft: Erst romantisiert, dann instrumentalisiert

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Autor/in
Franziska Kiedaisch
Franziska Kiedaisch, Autorin und Redakteurin, SWR Kultur

Vielen gilt der Wald als „typisch deutsche“ Landschaft. Dabei ist diese Vorstellung ein Mythos: In der Romantik als Inbegriff der Ursprünglichkeit verklärt, gilt der deutsche Wald später als Nationalsymbol und wird politisch instrumentalisiert. Auch für Künstler wird er zur Projektionsfläche.

Wald
Er fasziniert und schreckt ab, zieht Menschen in seinen Bann und inspiriert sie: der Wald. Deshalb konnte er in der Vergangenheit auch politisch instrumentalisiert werden.

Während der Industrialisierung wird der Wald idealisiert

Der Wald fasziniert und schreckt ab, inspiriert – besonders für die Deutschen wird er zu einem wichtigen Identifikationsmoment, zu einem Mythos, der auch politisch instrumentalisiert wird.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts machen sich Romantiker auf die Suche nach natürlichen Motiven – und werden im Wald fündig. Da sind deutsche Wälder zwar schon längst keine naturnahe Wildnis mehr, aber im Zuge der rasch voranschreitenden Industrialisierung, die auch vor der großflächigen Abholzung nicht Halt machte, wird der Wald nun als solche idealisiert.

Wald
Im Mittelalter gelten Wälder grundsätzlich als gefährlich, erst mit der Romantik ändern sich die Interpretationen. Nun wird der Wald als etwas Schönes, Natürliches und Reines angesehen.

Ein Gegenentwurf zur maschinengetriebenen Zivilisation

Galten Wälder zuvor als unheimlich und gefährlich – auch, weil sich in ihnen tatsächlich allerhand zwielichtige Gestalten herumtrieben –, setzt nun seine Verklärung im positiven Sinn ein. Der Wald-Tourismus kommt in Mode: Viele suchen die Natur auf, um dort ihre Freizeit zu verbringen und Abwechslung vom städtischen Alltag zu finden.

Der Wald gilt fortan als Gegenentwurf zur kalten, maschinengetriebenen Zivilisation der Städte. Maler wie Caspar David Friedrich schaffen Ansichten unberührter Natur, die von Sehnsucht zeugen und eine gewisse Melancholie beinhalten.

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Das Gemälde „Kreuz im Wald“ malt Caspar David Friedrich um das Jahr 1812.

Die Brüder Grimm werden zu Ideengeber der deutschen Waldbegeisterung

Der Schriftsteller Ludwig Tieck prägt in seinem Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ von 1797 einen Begriff dafür: „Waldeinsamkeit“. Der Wald wird zum Symbol für die Einsamkeit des Künstlers, der allein in der Natur umherstreift und sich auf Sinnsuche begibt.

Auch in den Märchen, die die Brüder Grimm sammeln, wird der Wald interpretiert und mythologisiert: Für Jacob und Wilhelm Grimm sind Wälder sowohl Orte der Ursprünglichkeit als auch Stätten des unzivilisierten Unheils – man denke nur an die Geschichten von Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel.

Aufgrund ihrer Popularität haben die Brüder mit ihren Ideen großen Einfluss auf die Wald-Bilder der kommenden Generationen. Sie sind Ideengeber für die einsetzende deutsche Waldbegeisterung.

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Durch die Romantik wird der Wald idealisiert. „Typisch deutsch“ wird er durch populäre Erzählungen und erste volkskundliche Betrachtungen.

Im Wald finden die Deutschen ihren Sehnsuchtsort

Ein ideengeschichtlicher Vordenker eines nationalen Wald-Bildes ist Wilhelm Heinrich Riehl, der als Begründer der deutschen Volkskunde gilt. Er stellt die identitätsstiftende Funktion des Waldes in den Fokus und bringt einen „Volksgeist“ in Zusammenhang mit seiner Umwelt.

Auf der Suche nach „dem Deutschen“ findet er unter anderem den Wald. Der Mythos vom Wald als deutschem Sehnsuchtsort ist nun endgültig geboren.

Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürften, würden wir doch noch den Wald brauchen. Das deutsche Volk bedarf des Waldes wie der Mensch des Weines.

Die „deutsche Eiche“ wird zum nationalpolitischen Kampfbegriff

Die Annahme, dass der Wald deutsches Kulturgut, ein Garant für Tradition sei, wird ab Mitte des 19. Jahrhunderts von Bedeutung. Es ist die Zeit der Nationalbewegungen, in der man in Deutschland nach allgemeinen Identifikationsvorlagen sucht.

Die „deutsche Eiche“ wird nun zum Sinnbild der Nation, zum politischen Kampfbegriff.

Besonders nach dem Ersten Weltkrieg radikalisieren sich die Bilder. So gründet sich etwa 1923 der „Deutscher Wald e.V. – Bund zur Wehr und Weihe des Waldes“, der explizit Stimmung gegen die sogenannten „Wüstenmenschen“ betreibt, was im Sprachgebrauch der Zeit Juden und Jüdinnen meint. Im Gegensatz dazu werden Deutsche als „Waldmenschen“ bezeichnet.

Rassistische und antisemitische Wald-Bilder

Die Nationalsozialisten können auf jene rassistischen und antisemitischen Wald-Bilder zurückgreifen. NS-Propagandisten instrumentalisieren den Wald weiter und setzen metaphorisch Volk und Wald gleich.

Sie zeichnen in populären Bildbänden, im Film oder mittels Unterrichtsmaterialien ein germanisches Erbe nach, das bei der Schlacht im Teutoburger Wald gegen die Römer verteidigt worden sei und nun mittels einer Blut-und-Boden-Ideologie verbreitet werden soll.

Eine neue Lesart nach dem Krieg: Heimat- und Naturschutz

Nach dem Zweiten Weltkrieg sucht die deutsche Bevölkerung hingegen die politischen Lesarten des Waldes hinter sich zu lassen, es geht nun vermehrt um Heimat und Naturschutz.

Die deutsche Debatte ums „Waldsterben“ in den 1980er-Jahren macht aber erneut die wichtige Rolle des Waldes im kollektiven Gedächtnis und seine identitätsstiftende Funktion hierzulande deutlich: Während auch Bäume in anderen europäischen Ländern Schäden aufweisen, wird kaum wo anders ähnlich intensiv das Thema diskutiert wie in der BRD.

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Wo verläuft die Grenze zwischen Natur und Kultur? Am Beispiel des deutschen Waldes ist das eine besonders spannende Frage.

Und Joseph Beuys pflanzt 7000 Eichen

1982 stellt Joseph Beuys das Kunstwerk „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ auf der Documenta 7 vor. Bis 1987 werden 7000 Bäume in Kassel gepflanzt und jeweils mit einem begleitenden Basaltstein versehen, um den städtischen Raum einer Transformation zu unterziehen. Beuys selbst nennt es eine „Soziale Plastik“.

Das Beispiel der „Stadtverwaldung“ zeigt: Natur und Kultur sind nicht zu trennen, die Grenzen sind fließend.

Und an wohl kaum einem anderen Ort in Deutschland zeigt sich dies deutlicher als im Wald, denn erst die menschlichen Interpretationen, die Bilder vom Wald, machen ihn zu dem was er ist: Nicht allein Natur, sondern geschaffene Umwelt, Interpretationsgegenstand – und ein deutscher Mythos.

Mehr zum Wald und zu seiner Kultur

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Die Deutschen und ihre Märchen: Wann schütteln wir die Schwarze Pädagogik ab?

Unter dem Weihnachtsbaum liegt vermutlich auch dieses Jahr wieder bei vielen Familien Bruno Bettelheims Klassiker „Kinder brauchen Märchen“. Aber stimmt das? Märchen sind oft grausam, zeigen problematische Geschlechterbilder und gehen – anders als das Leben – immer gut aus. Trotzdem können sie für die Erziehung von Kindern Impulse liefern, sagt der Märchenpädagoge Oliver Geister.

Längst nicht alle Kinder ‚brauchen‘ Märchen, sagt dagegen die Journalistin und Ratgeberautorin Nora Imlau. Allein schon deshalb nicht, weil Kinder heute ihre Gefühle zulassen dürfen – und dafür in den Märchen kein Ventil mehr brauchen, wie noch Bruno Bettelheim behauptet hatte. Dafür sorgen laut Imlau moderne Erziehungsideale, die bei Kindern Mündigkeit und Bindung fördern sollen.

Aber warum scheinen die Deutschen ihre Märchen dennoch so zu lieben? Denn die Klassiker-Sammlung der Gebrüder Grimm ist immer noch erfolgreich – wenn auch oft in entschärften Varianten. Steckt in uns doch mehr Schwarze Pädagogik, als wir uns vorstellen können?

Habt ihr Fragen, Kritik oder Anregungen? Dann schreibt uns gern unter kulturpodcast@swr.de

Host und Redaktion: Philine Sauvageot

Oliver Geisters Aufsatz „Achtung böse! Die zehn grausamsten Märchen der Brüder Grimm“ von 2014 findet ihr unter diesem Link: http://maerchenpaedagogik.de/geister_achtung_boese.pdf

Kommt alle zum SWR Podcast-Festival! Von 12.-14.01.2023 in Mannheim. Tickets gibts hier: https://www.swr.de/home/podcastfestival-100.html

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