Lehrermangel, Streichungen, veraltete Konzepte

Problemfall Musikunterricht: Warum Musik an der Schule veraltet und trotzdem wichtig ist

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Autor/in
Thomas Palmai
David Kirchgeßner
David Kirchgeßner ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz.

Der Musikunterricht an Schulen hat es schwer. Instrumente lernen wir mit Videotutorials oder per App, die Politik will mehr Mathe und Deutsch – und es fehlen sowieso Lehrkräfte. Braucht es überhaupt noch Musik als Fach?

Ein Instrument oder Singen lernen, musikalische Früherziehung – all das kann auch an staatlichen und privaten Musikschulen oder gleich digital geschehen.

Noch dazu ist der schulische Musikunterricht, wenn er denn stattfindet und nicht wegen Personalmangel ausfällt, zu oft noch akademisch geprägt: mit angestaubtem Liedgut und Methoden fernab der Lebensrealitäten vieler Schülerinnen und Schüler.

Mehr Zeit für Rechnen, Lesen und Schreiben wäre ebenfalls im Stundenplan, wenn man den Musikunterricht reduzieren oder gar abschaffen würde.

Video: Neue-Musik-Projekt für Realschüler*innen in Rockenhausen

Streichungen und Fachkräftemangel

Doch es findet auch jeden Tag begeisternde Musikpädagogik an Schulen statt. Und die liefert nach Experten sogar Argumente für noch mehr Musik an Schulen als bisher. Dazu gleich mehr. Denn die aktuellen Entwicklungen in der Bildungspolitik sehen vielerorts erst einmal anders aus.

Baindt

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SWR4 BW aus dem Studio Friedrichshafen SWR4 BW aus dem Studio Friedrichshafen

Nach Bremen, Bayern und Thüringen überlegt auch Mecklenburg-Vorpommern, die Fächer Musik, Theater und Kunst ab dem Schuljahr 2025/26 in einem Verbund zusammenzufassen. Der Deutsche Musikrat befürchtet, dass mit solchen Plänen die Eigenständigkeit von Musik als Fach immer stärker gefährdet werde. Noch dazu verschärft sich der Mangel an Lehrkräften für Musik immer weiter, wie mehrere aktuelle Studien zeigen.

Rettet die Blockflöte den musikalischen Nachwuchs?

Immerhin: In Hessen hat es die Blockflöte nach der letzten Landtagswahl in den Koalitionsvertrag geschafft. „Wir werden ein Blockflötenprojekt mit Schulanfängerinnen und Schulanfängern starten, bei dem die Grundschülerinnen und Grundschüler eine Blockflöte und die Lehrkräfte passendes Unterrichtsmaterial erhalten“, heißt es dort.

Was für manche wie ein schlechter Scherz aus einem Wahlprogramm der 1980er-Jahre klingt und schrille Erinnerungen an die eigene Grundschulzeit weckt, hat jedoch ein hehres Ziel.

Man wolle Kindern möglichst früh das Tor zur Welt der Musik öffnen“, steht im Koalitionsvertrag von CDU und SPD. „Durch Flötenunterricht in den Schulen kann Kindern ein erster Zugang zum praktischen Musizieren und zur Musik aller Gattungen ermöglicht werden“, zitiert der Hessische Rundfunk eine CDU-Sprecherin. Ob die Blockflöte im Jahr 2024 dazu das Mittel der Wahl ist, darüber lässt sich natürlich streiten.

Bildungsexperte: Früh an die Zukunft denken

„Wenn man Kindern die frühe Erfahrung mit Musik nicht gibt, ist es sehr schwer, das später aufzuholen. Das Musizieren in der Schule ist ein Angebot, das man Kindern mitgibt fürs Leben. Und sie können später darauf zurückgreifen“, sagt Wolfgang Pfeiffer, emeritierter Professor für Musikpädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Jeki Musikunterricht in der Grundschule Heinrichstraße mit Frau Tübben von der Musikschule am 18.04.2012 in Muelheim
„Wenn man Kindern die frühe Erfahrung mit Musik nicht gibt, ist es sehr schwer, das später aufzuholen“, meint der Musikpädagoge Wolfgang Pfeiffer.

„Schule kann hier ein echter Ermöglichungsraum sein, gerade auch für junge Menschen aus einem weniger privilegierten sozialen Umfeld,“ so Stefan Jakobs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Rheinland-Pfalz. Besonders Grundschulen sind der einzige Ort, wo noch alle Kinder erreicht werden können.

Soziale Ungleichheit abbauen

Jakobs ist selbst Musikpädagoge. Er sagt: Es bestehe gerade in künstlerischen und musischen Fächern die Chance, mit Materialien, Techniken und Instrumenten in Kontakt zu kommen, die das private Umfeld vielleicht gar nicht bieten kann.

Lehrkräfte könnten Schülerinnen und Schülern Zugänge für wenig Geld oder gar kostenlos schaffen, die im privaten Umfeld vielleicht nicht leistbar wären.

Bildung Die Zukunft des Musikunterrichts – Ein Streichkonzert?

Singen und gemeinsam Musikmachen gehört zur klassischen Bildung. An vielen Schulen fällt der Musikunterricht aber aus, weil Lehrkräfte fehlen.

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Auch andere Fächer profitieren: Mathe lernen mit Gesang

Studien belegen, dass die Fächer Musik, Kunst und Darstellendes Spiel in der Lage sind, kreative Potentiale und Ausdrucksmöglichkeiten bei Schülerinnen und Schülern zu wecken – auch mit positiven Auswirkungen zu den MINT-Fächern wie Mathematik. Und da könne eine Matheaufgabe oder Merksprüche zu Formeln dann auch mal gesungen werden, so Bildungsforscher Wolfgang Pfeiffer.

„Es gibt kein Fach in der Schule, das mehr Potential hat, Gemeinschaft zu fördern, als Musik. Musik verbindet Menschen“, meint Pfeiffer. Musik könne Effekte schaffen, die im Schulalltag häufig und seit Corona besonders schmerzlich vermisst werden.

Musikunterricht am Gymnasium Holthausen: Jugendlicher an der Tafel erläutert eine Partitur.
Bis heute ist der Musikunterricht an deutschen Schulen sehr stark akademisch ausgelegt: Junge Menschen lernen vornehmlich Notenlesen und musiktheoretische Fakten. Wäre ein praxisnaherer Ansatz gewinnbringender?

Macht Musik schlau?

„Das Abschalten vom Alltag, das Entschweben in eine andere Welt, in der Kreativität und Gemeinsamkeit einen deutlichen Kontrast zum Alltagsleben bilden. Die durch künstlerische Tätigkeit verursachte Möglichkeit des Aussetzens, des Verschwindens in eine andere Welt schafft für unsere Kinder neue Räume, die neue Perspektiven und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit eröffnen“, erklärt der emeritierte Professor.

Ob Musik wirklich schlau macht, darüber gibt es seit Jahren wissenschaftliche Debatten. Aktuelle Studien sagen eher nein, oder zumindest anders als bisher angenommen. „Es gibt eine dünne Datenlage, das sich bei Leuten, die sehr intensiv Musik betreiben, auch die Konzentration verbessert und konzentriert“, so Pfeiffer. Das betreffe allerdings eher Profis, die mehrere Stunden am Tag üben, als die Otto-Normal-Bürger.

Softskills lernen, Kreativität und Persönlichkeit entwickeln

Was man aber bei speziellen Musikklassen beobachten könne: „Die Leute geben achtsamer miteinander um, nehmen Rücksicht und können besser kooperieren. Die lernen sehr schnell, sich selbst zu organisieren und treten auch selbstbewusster auf.“ Das sei zwar statistisch schwer nachzuweisen, aus seiner eigenen Lehrerfahrung an Gymnasien und aus Berichten von Lehrkräften durchaus belegbar.

Was sich bei der Ausbildung von Lehrkräften ändern muss

Für Jürgen Oberschmidt, Professor für Musik und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, gilt: „Musikunterricht muss zuallererst einmal dafür da sein, dass Kinder und Jugendliche zu sich selbst finden, ihren eigenen Standpunkt finden, sich kreativ mit Problemen auseinandersetzen, die sie bewegen.“

Dazu müsse der Musikunterricht genau an ihren Erfahrungshorizont anknüpfen, „und das gelingt uns heute noch nicht immer. Das muss man auch ganz klar sagen“, so Oberschmidt.

In der Praxis lernen

Um den Musikunterricht attraktiver zu machen plädiert sein Kollege Wolfgang Pfeiffer für mehr Praxis, statt nur Musikgeschichte zu pauken oder Analysen zu machen: „Die Leute sollen aktiv machen, dann wird es leichter. Das Musizieren mit Instrumenten sollte im Mittelpunkt des Musikunterrichts stehen.“

Auch für den GEW-Vorsitzenden Jakobs gehört „neben dem fachlichen Training im Unterricht unbedingt das praktische Tun dazu“ – also eigenes Erproben und Experimentieren auch beim Erlernen eines Instruments. Gerade vom projektorientierten Planen und Erarbeiten von Konzerten, Musicals und Aufführungen oder Ausstellungen könnten Kinder und Jugendliche profitieren.

Der Heidelberger Musikwissenschaftler Oberschmidt sieht aber noch einen anderen Ansatzpunkt: „Wir brauchen eine Ausbildung, die stärker an die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler anknüpft, die daran anknüpft, was auch in der Schule wichtig ist. Dazu gehört zum Beispiel auch digitale Musikproduktion.“

Staunen statt Humankapital

Ganz grundsätzlich kritisiert Oberschmidt, dass Kinder und Jugendliche in der Schule häufig auf ihre Rolle als Lernende reduziert würden. „Es kann nicht sein, dass Schule einzig Output orientiert ist und die Wissensarbeiter von morgen erstellt. Das Wort Humankapital war ja schon mal Unwort des Jahres“, sagt Oberschmidt.

Kunst und Musik sollten stattdessen eine andere Seite des Mensch-Seins wecken. „Musik lässt uns staunen vor dem Unsagbaren, vor den großen Geheimnissen von Schönheit. Wir brauchen Musik und Kunstunterricht in den Schulen, damit wir das Staunen nicht verlernen“, so Oberschmidt.

Die Frage sollte also wohl eher nicht sein, ob wir Musikunterricht an Schulen brauchen, sondern wie wir ihn verbessern und ausweiten können, um allen Schülerinnen und Schülern die bestmöglichen Chancen zu bieten.

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