András Schiff und Jörg Widmann haben die beiden Klarinettensonaten von Johannes Brahms aufgenommen. Die späten Kompositionen sind schwermütig, aber nicht in jeder Note schimmert eine Träne. Beide Interpreten begegnen sich als Wahlverwandte und in der Kammermusik entdecken sie eine besondere Intimität: Wie zwei Sänger, die gleich atmen.
„Allegro appassionato“ fordert der Komponist im ersten Satz der f-Moll-Sonate – aber „leidenschaftlich“ meint hier nicht allein stürmisch-drängerisch, ungestüm oder gar ungezügelt, sondern darüber hinaus einen nachdenklichen, reflektiert-kritischen Gestus. Genau diesen Ton des späten Brahms treffen die beiden Interpreten auf ihrer neuen CD.
Die Interpreten begegnen sich als Wahlverwandte
András Schiff und Jörg Widmann erkunden den späten Johannes Brahms – schwermütig, aber nicht in jeder Note schimmert eine Träne. Beide Interpreten begegnen sich als Wahlverwandte, die in der Kammermusik eine Intimität entdecken, die als beispielhaft gelten darf. Wie zwei Sänger, die gleich atmen. Das zeigt sich in Rundungen, Übergängen, dramatischen Zuspitzungen und vor allem aber in den langsamen Sätzen, die zu poetischen Inseln werden, zu entrückten Dialogen voller Zärtlichkeit, reich an Andeutungen und Zwischentönen.
Trost und Ahnung liegen dicht beieinander
Wenn Brahms vom Klavier einzelne Basstöne verlangt, dienen sie nicht als bloße Begleitung oder als Auffüllmasse für einen fülligeren Klang, sondern sie kommentieren die Melodiestimme, ob sie nun vom Klavier oder der Klarinette vorgetragen wird. So entsteht eine Balance, die in ihrer symbiotischen Einheit vieles von der eigentlichen Werk-Substanz freilegt. Trost und Ahnung, Trauer und Hoffnung liegen in dieser Form von Klang gewordener Melancholie dicht, nein: untrennbar beieinander.
Noch ein kurzes Beispiel für die Qualität dieses kammermusikalischen Pas de deux: Allegro amabile hat Brahms über den ersten Satz der Es-Dur-Sonate geschrieben. Gerade der Einstieg ist für Interpreten oft problematisch, weil dieses „amabile“ schnell kitschig klingen kann. Eine Temporückung zu viel, ein ins Laute verrutschtes Piano - es gibt viele Klippen, die es hier zu meistern gilt. Vor allem, wenn Brahms dann wirklich ins Forte wechselt – dieser Kontrast wirkt oft knallig und schroff. Doch der späte Brahms ist nun mal kein junger Beethoven… Wie diese Eröffnungssequenz gelingen kann, lyrisch und natürlich zugleich: das zeigen nun noch einmal András Schiff und Jörg Widmann.
Neben den beiden Klarinettensonaten enthält diese CD auch die „Intermezzi“ für Klavier solo von Jörg Widmann. Der Titel lässt bereits erahnen: Die fünf Stücke beziehen sich auf die späten Klavierwerke von Johannes Brahms.
Eine ohne Einschränkung zu empfehlende Aufnahme
Fünf Intermezzi von Jörg Widmann enthält diese neue CD mit dem Pianisten András Schiff. Diese Solostücke werden umrahmt von den beiden Klarinettensonaten von Johannes Brahms – mit Widmann an der Klarinette. Eine berührende, intensive und daher ohne jede Einschränkung zu empfehlende Aufnahme, die beim Label ECM erschienen ist.
Carl Maria von Weber: Klarinettenkonzert Nr. 1 f-Moll op. 73
Jörg Widmann (Klarinette). Philharmonisches Staatsorchester Mainz. Hermann Bäumer (Leitung). Konzertmitschnitt vom 23.5.2015 im Staatstheater Mainz. SWR2 Musikstück der Woche vom 12.1.2019.
Werkgespräch Mark Andre & Jörg Widmann
"Über" – so heißt das neue Werk für Klarinette, Orchester und Live-Elektronik, das der Komponist Mark Andre im Auftrag der Donaueschinger Musiktage 2015 schreibt. Der Klarinettist Jörg Widmann wird als Solist die Uraufführung spielen und ist auch am Kompositionsprozess beteiligt. Lydia Jeschke hat die beiden Musiker während den Proben im Experimentalstudio des SWR in Freiburg getroffen. Beitrag in SWR2 Cluster vom 22.9.2015.