Das Schöne an Hermann Bausingers Beschreibungen der Poesie des Alltags ist natürlich ihre Verwurzelung im echten Leben. Beschäftigt er sich also mit dem mündlichen Erzählen, dann nimmt er uns dafür mit auf eine sommerliche Gartenparty. Wo es bei den Plaudereien um dies und das geht.
Was gehört zu einer gelungenen Erzählung?
Zum Beispiel um das angeblich bei einem Fallschirmsprung über dem Stuttgarter Neckarstadion verlorene Handy des früheren Kunstturners und Reck-Weltmeisters Eberhard Gienger. Einer in der Runde ruft laut, ja, ja, das stimmt. Zunächst wendet sich ihm aber die allgemeine Aufmerksamkeit nicht zu, schreibt Bausinger und Tukur zitiert ihn weiter:
„Dann aber wagt sich der Gast, der vorher das Fallschirmereignis kurz bestätigt hatte, wieder nach vorn. Er spricht nicht die ganze Runde an, sondern seinen unmittelbaren Tischnachbarn. Er kenne den Eberhard gut, arbeite seit langem immer wieder mal mit ihm zusammen. ‚Ach, was‘, sagt der Nachbar und fragt, ob das mit dem Handy wirklich passiert sei. Der andere nickt und jetzt ist der Weg frei für seine Erzählung. ‚Klar‘, sagt er ‚und es war überhaupt nicht witzig‘. Mit dieser Bemerkung gewinnt er vollends die Aufmerksamkeit von allen.“
(Aus: Hermann Bausinger: Vom Erzählen. Poesie des Alltags. Gelesen von Ulrich Tukur)
Was gehört zu einer gelungenen Erzählung? Diese Frage beschäftigte Bausinger jahrzehntelang. Schon 1952 stellte er sie sich in seiner Doktorarbeit. Die ist die Basis des Buchs und Hörbuchs „Vom Erzählen. Poesie des Alltags“.
Die Krönung einer gelungenen Erzählung ist die persönliche Beteiligung am Unglaublichen
Die Gartenparty-Gienger-Story zeigt laut Bausinger, worauf es ankommt. Die Krönung ist die persönliche Beteiligung am Unglaublichen. Der Erzähler selbst war aktiv beteiligt daran, Giengers Sprung über dem vollen Stadion im letzten Moment umzulenken. Die perfekte Pointe – das zeigt die Reaktion der Partygäste.
„Am deutlichsten mit dem Wort ‚Wahnsinn, der vielleicht häufigsten Formel für Bestätigung und Anerkennung, wenn es um die Erzählung eines besonderen Ereignisses geht. Ein besonderes Ereignis war es. Ein ganz unerhörter Vorfall, jedenfalls wich das Ereignis soweit vom Normalen ab, dass damit die Erzählwürdigkeit gegeben war. Und es war eine abgerundete Geschichte.“
(Aus: Hermann Bausinger: Vom Erzählen. Poesie des Alltags. Gelesen von Ulrich Tukur)
Um Bausingers Texte zum Klingen zu bringen, kam Ulrich Tukur zurück nach Tübingen, in die Stadt, in der er Ende der 1970er Jahre studierte – freilich, ohne Bausinger persönlich kennenzulernen. Das holten sie im Herbst vergangenen Jahres im SWR Studio Tübingen nach.
Gesprächsausschnitte - zum Beispiel über Smalltalk - finden sich auf den beiden CDs
Bausinger: „Ich erinnere mich an Einladungen, bei denen die Gastgeberin einen gewissermaßen am Schopf gepackt hat und gesagt hat, der Herr Soundso möchte unbedingt mit einem reden. Und wenn man dann hinkam, dann war der erstaunt. Es gibt gewisse Stolpersteine beim Smalltalk.“
Tukur: „Es ist ja oft Vermeidung von Peinlichkeiten, Vermeidung von Stille, dass es nicht weitergeht, dann sitzen alle wie auf Nadeln und man merkt, man sollte etwas reden und dann redet man irgendwas.“
Bausinger: „Wobei in dem Fall peinlich war, dass also der Betreffende natürlich überhaupt nicht mit mir reden wollte.“
Der Tübinger Jazzmusiker Dizzy Krisch umspielt die Gespräche und die Bausinger-Texte mit Klängen, die sich anhören wie Übertragungen der manchmal ironisch distanzierten Worte des Kulturwissenschaftlers.
Eigentlich erzählt man immer von sich selbst
Hermann Bausinger ging es beim Erzählen um die Kunst der Beiläufigkeit mit exotischen Pointen und darum, dass man eigentlich immer von sich selbst erzählt. Bausinger und Tukur dabei zuzuhören ist ein richtiges Vergnügen.