„Die große Vertrauenskrise" ist ausgebrochen, in der immer mehr Menschen nur noch populistischen Politikern und Verschwörungserzählern glauben wollen. Warum das so ist und was sich dagegen tun lässt, erklärt Sascha Lobo in einem neuen Buch.
Warum glauben immer mehr Menschen lieber an bizarre Verschwörungsmythen als an das, was in der Zeitung steht? Zum Beispiel daran, dass Olaf Scholz ein Echsenmensch sei oder die Erde eine Scheibe? Nach Sascha Lobo muss man sich den Absturz in den Kaninchenbau der Verschwörungserzählungen als einen Prozess vorstellen. Auf dessen Höhepunkt überkomme Betroffene eine regelrechte „Vertrauenspanik“. Nach einer Vorgeschichte sich mehrender Zweifel erscheine plötzlich gar nichts mehr als wahr.
Vertrauen in Parteien und Medien dramatisch gesunken
Dieser unhaltbare, einsam machende Zustand führe zur verzweifelten Suche nach Halt. Wer einen solchen finde – irgendwo in den Untiefen einschlägiger Internetforen – erlebe eine Art Heureka-Moment, das Gefühl, jemanden oder etwas durchschaut zu haben. Hinzu komme oft das Gefühl einer neuen Gemeinschaft, gegenseitige Bestätigung und die, nun ja, Erkenntnis, gegenüber seinen Mitmenschen ein überlegenes Wissen zu besitzen.
Das Kapitel darüber, warum Menschen sich im Netz von Verschwörungsgespinsten verfangen, und seien diese noch so bizarr, gehört zu den eindrucksvollsten Partien in Sascha Lobos neuem Buch. In diesem untersucht der Publizist und Blogger die, so der Titel, „große Vertrauenskrise“ in unserer Gesellschaft: die zwischen Politikern und Wählern, die zwischen Medien und ihrem Publikum, aber auch die zwischen den Generationen, Stichwort Klimaaktivismus.
Lobos Ausgangspunkt sind die immer erschreckenderen Ergebnisse einschlägiger Umfragen. Laut Allensbach zum Beispiel sei das Zukunftsvertrauen hierzulande seit Corona auf 19 Prozent regelrecht kollabiert. Und unter Jugendlichen vertrauten nach einer anderen Umfrage nur noch sieben Prozent den Parteien. Um das Vertrauen in die sogenannten Leitmedien ist es kaum besser bestellt. Für eine liberale Demokratie, in der Parteien ebenso wie Medien essenziell sind, seien solche Zahlen verheerend, so Lobo – und da würde ihm wohl niemand widersprechen.
11. September als „Einstiegsdroge“ in die Welt der Verschwörungsmythen
Aber warum ist das so? Und wie lässt sich diese Entwicklung umkehren? Zumal uns die neuen KIs heute schon künstlich erzeugte Bilder und Tonaufnahmen bescheren, die von authentischen nicht mehr zu unterscheiden sind.
Was Lobos Ursachenforschung angeht, so ist diese gleichermaßen erschöpfend wie überzeugend. Zeitlich führt seine Analyse zurück bis zur Jahrtausendwende, als der 11. September für viele zur „Einstiegsdroge“ in die Welt der Verschwörungsmythen wurde. Und sie endet bei den verheerenden Folgen der Sparideologie der Merkel-Ära, als die Befriedigung der Finanzmärkte wichtiger erschien als Investitionen in Bildung, Digitalisierung oder Infrastruktur. Was gerade viele junge Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren ließ.
Neues Vertrauen schaffen: mit Transparenz, Vernetzung, ständiger Fehlerkorrektur
Was den Vertrauensverlust in die Medien angeht, so sind Lobos Ausführungen um einiges tiefschürfender als das, was Richard David Precht und Harald Welzer unlängst auftischten. Dass den Medien immer mehr Menschen misstrauen, hat eben viele Gründe, strukturelle ebenso wie hausgemachte. Und wie verheerend es ist, dass beispielsweise Facebook-Beiträge seriöser Medien im selben Layout angezeigt werden wie die aus dubiosen Quellen, bewiesen die Pandemiejahre, als jeder selbsternannte Virologe einem Christian Drosten seine Fehler „nachweisen“ konnte, unbeschwert von aufwendigen Doppelblindstudien, versteht sich.
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch: Nach diesem Motto zeigt der Autor im Schlussteil einige Auswege aus der Vertrauenskrise auf. Wenn das „alte Vertrauen“ in Institutionen oder Experten, die scheibchenweise ihr Herrschaftswissen teilen, heute, in Zeiten sozialer Medien, nicht mehr funktioniert, ist es eben an der Zeit für ein „neues Vertrauen“, so Lobo. Und dieses setze auf Transparenz, Vernetzung, Kollaboration und fortwährende Fehlerkorrektur. Wie im Fall der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“; der vertrauen inzwischen laut Umfragen stolze 80 Prozent der Befragten. Ob das im KI-Zeitalter so bleiben wird? In Sachen ChatGPT fällt Sascha Lobo leider nur wenig ein; künftig werde man wohl ein „Maschinenvertrauen“ haben wie einst unsere Großeltern ihr „Gottvertrauen“. Solche Aussichten können einem glatt selbst eine „Vertrauenspanik“ bescheren.