Und an seinen Vater, der vor Pedros Geburt starb. Unter mysteriösen Umständen. Mit „Die Mutter“ hat Melba Escobar einen spannenden Roman über politische Gewalt geschrieben.
Pedro hätte längst zuhause sein müssen, doch selbst per Handy kann Cecilia ihn nicht erreichen. Angesichts der Gewalt in Kolumbien wäre da jeder Angehörige zutiefst beunruhigt. Dem Roman „Die Mutter“ von Melba Escobar verleiht die bis zum Ende anhaltende Ungewissheit über den Verbleib des siebzehnjährigen Sohnes Spannung.
Cecilia ist „Die Mutter“, die dem Roman den Titel gab. Sie erzählt in der Ich-Form. Wir schauen ihr sozusagen in den Kopf, während sie voller Angst auf Nachricht von Pedro wartet. Ihre Angst überträgt sich auf die Leserin.
In ihrer Verzweiflung spricht Cecilia in Gedanken mit Rayo, Pedros Vater, der vor der Geburt des Sohnes verstorben ist. Sie erinnert den verantwortungslosen Macho an ihre turbulente gemeinsame Zeit. Bis zum Ende bleibt im Dunkeln, unter welchen Umständen Rayo ums Leben kam. Auch das möchte man natürlich gern erfahren. Selbst den gemeinsamen Sohn hat Cecilia darüber immer im Unklaren gelassen – weil sie ihn schützen wollte.
Sprengstoffanschlag auf ein Luxus-Kaufhaus in Bogotá
Immer wieder wird Cecilia jäh aus ihren Erinnerungen gerissen und mit der Gegenwart konfrontiert: Schon als sie in den Nachrichten gehört hatte, dass im reichen Norden der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá ein Sprengstoffanschlag auf ein Luxus-Kaufhaus verübt worden ist, beschlich sie ein beklemmendes Gefühl, hatte Pedro ihr doch gesagt, dass er dorthin wolle.
So hat sie zunächst Angst, er könnte zu den toten oder verletzten Kunden gehören. Doch je mehr sie Rayo in Gedanken von Pedros Freundin Juana erzählt, desto mehr verfestigt sich in ihr die Befürchtung, er könnte einer der Attentäter sein. Juana stammt aus einer der Armenvorstädte von Bogotá und leistet dort Sozialarbeit. Aus dem Wenigen, das Pedro seiner Mutter erzählt hat, konnte sie zumindest schließen, dass er sehr mit dem Elend in den Vorstädten gehadert hat.
Politische Gewalt in Kolumbien
Seit Ende der 1940er Jahre herrscht in Kolumbien Bürgerkrieg. Verschiedene linke Guerillagruppen sowie rechte paramilitärische Banden sorgen seitdem vor allem auf dem Land für Gewalt. In der Hauptstadt Bogotá kommt es regelmäßig zu Attentaten, wie in Melba Escobars Roman.
In den riesigen Armenvorstädten haben bewaffnete Gruppen leichtes Spiel, unter den jungen Leuten neue Kämpfer zu rekrutieren. Politische Gewalt war bereits für den kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez ein wichtiges Thema und spielt bis heute in der Literatur des Landes eine große Rolle.
Auch in ihrem ersten Roman „Die Kosmetikerin“ ging es Melba Escobar bereits um die Auswirkungen der Gewalt auf das Leben der Menschen. In „Die Mutter“ macht sie sie erneut zum Thema. Wobei das Luxus-Kaufhaus, das im Roman in die Luft gesprengt wird, für den reichen Teil der Hauptstadt steht, der im Überfluss lebt.
Hätte Cecilia ihrem Sohn doch die Wahrheit gesagt!
Einem sensiblen Siebzehnjährigen wie Pedro hätte es durchaus logisch erscheinen können, sich der Guerilla anzuschließen und mit Gewalt gegen die Reichen zu Felde zu ziehen. Hätte Cecilia ihm allerdings reinen Wein über den Tod seines Vaters eingeschenkt, hätte er sich – wenn er denn tatsächlich einer der Attentäter war – möglicherweise doch gegen die Gewalt entschieden.
Noch ein dritter Mann ist für Cecilia wichtig - Manuel, mit dem sie seit einer Weile zusammen ist. Ist dieser nette Manuel womöglich dafür verantwortlich, dass das Fernsehen nur wenige Stunden nach dem Attentat Pedro als vermeintlichen Täter ausgemacht hat? Ist Manuel ein Polizei- oder Geheimdienstspitzel, der Pedro verraten hat?
„Die Mutter“ zeichnet sehr glaubhaft das Leben in Bogotá nach, wo selbst in den Familien häufig viel verschwiegen wird, um politische Diskussionen zu vermeiden. Oder weil man die Liebsten schützen will – vor unangenehmen Wahrheiten, aber auch davor, in die Mühlen des bewaffneten Konflikts zu geraten.
Eines schimmert im Roman sehr deutlich durch: Die Kluft zwischen Arm und Reich schadet auch denen, die keinen Mangel leiden. Für Kolumbien-Fans ist „Die Mutter“ ein Muss, und wer sozialkritische Romane mag, die obendrein spannend sind, wird Melba Escobars Buch ebenfalls gern lesen.