Was geschieht mit der Liebe, wenn sie das geliebte Objekt verliert, weil jemand stirbt? Lone Frank geht in ihrem Buch dem wahrscheinlich am häufigsten trivialisierten und zugleich mystifizierten Begriff nach: der Liebe. Sie nimmt uns dabei mit in die Welt der Wissenschaft aber auch in ihre eigene Lebenswelt. Sie versucht zu verstehen, was Liebe ist, und erkundet sie auf dem Feld von Familien, Freundschaft und Partnerschaft. Wer wir sind, stellt sich heraus, hängt zum großen Teil davon ab, wie wir lieben.
Aus dem Dänischen von Kerstin Schöps
Kein & Aber Verlag, 270 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-0369-5889-7
Die 1966 geborene dänische Journalistin Lone Frank schreibt unter anderem regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie studierte Neurobiologie und beschäftigt sich auch in ihren Büchern mit naturwissenschaftlichen Themen. Vor 10 Jahren veröffentlichte sie "Mein wundervolles Genom" und jetzt "Liebe. Vom Höchsten der Gefühle" – Sandra Hoffmann.
Was tun, wenn einem erst nach dem Tod des langjährigen Lebensgefährten oder Ehepartners klar wird, wie sehr man ihn geliebt hat?
Lone Frank, eine Neurobiologin und Wissenschaftsjournalistin hat das erlebt. Dreizehn Jahre ist sie mit einem Mann zusammen, als er an Krebs erkrankt und innerhalb von sechs Monaten stirbt. Sie hatten Höhen und Tiefen miteinander erlebt, waren gereist, hatten gestritten und Krisen überwunden. Aber das war irgendwie normal. Jetzt, wo er tot ist, spürt Lone Frank: Sie hat diesen Mann womöglich mehr geliebt, als ihr das bewusst war.
Wir waren füreinander bestimmt (…) aber wir gehörten nicht zu den Leuten, die von der großen Liebe sprachen oder sich „Ich liebe dich“ hinterherriefen. Genau genommen wurde dieser Satz nur wenige Male ausgesprochen und dann meistens etwas unbeholfen und wie im Vorbeigehen.
Doch der Verlust des Partners trifft Lone Frank dann viel härter als erwartet:
die Liebe, die auf einmal heimatlos geworden war, machte erbarmungslos auf sich aufmerksam, indem sie den Sinn des Lebens zerstörte und in mir eine große Leere hinterließ.
Nachdem Frank viele Monate wie paralysiert auf dem Sofa gelegen hat, will sie es wissen, und macht sich auf den Weg, herauszufinden, was denn Liebe genau ist "und ob man sie überhaupt begreifen kann“. Für sie beginnt eine Entdeckungsreise durch die Welt der Wissenschaften.
Die Evolutionsbiologen können mir erklären, aus welchem Grund sich unsere behaarten Vorfahren in der Savanne von den Affen abgespalten und die erste Paarbeziehung eingeführt haben. Die Neurowissenschaftler und Biochemiker können enthüllen, wie unser Gehirn Liebe erlebt. (…) Genetiker belegen, dass subtile Veränderungen in unserer Erbanlage individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung und in unseren Fähigkeiten bewirken können. Aber erst Psychologen und Anthropologen sind in der Lage zu erklären, wie unsere Lebensweise die Liebe formt (…)
Diese analytische Herangehensweise der Autorin klingt vielleicht ein bisschen nach Entzauberung der Liebe. Das ist es aber nicht, weil Lone Frank immer zu sich selbst zurückkehrt und zu ihren Empfindungen. Sie versucht, die Beziehung zu ihren Eltern zu rekapitulieren, versteht vor allem, wie wichtig das frühe stabile und gute Verhältnis zu ihrem Vater war, der ihr alles beigebracht hat, was sie an sich selbst schätzt: von Sozialkompetenz über Neugier bis zur Fähigkeit, sich auf einen Menschen einzulassen und schließlich, zu trauern.
Immer wieder taucht im Text die zentrale Figur Asger Neumann auf, ein Psychologe, der Lone Frank hilft, ihre Gefühle zu verstehen, sie zu ordnen; Und so ist es vor allem im letzten Drittel des nicht ganz dreihundert Seiten starken Buches er, der in persönlichen Gesprächen mit ihr so interessante Dinge sagt, dass wir aufhorchen und immer weiter lesen wollen:
Liebe ist kein Gefühl. (…) Es ist eine Qualität einer Verbindung, das Band zu einem anderen Menschen. Dieses Band kann alle möglichen Gefühle auslösen, alles von Ekstase bis Raserei, manchmal sogar Hass. Aber es gibt ein Band, das allem übergeordnet ist, das anzeigt, wie sehr du dich verpflichtet fühlst und was du bereit bist, für einen anderen Menschen zu tun.
Liebe – Vom höchsten der Gefühle, ist deshalb ein so ein lesenswertes Buch, weil es beides kann: Die persönliche Erzählung, in der wir die Autorin aus der tiefsten Trauer hinaus begleiten und schließlich irgendwann hinein in eine neue Liebe, die jene andere, durch den Tod abgebrochene, nicht verdrängt. Außerdem leistet das Buch die wissenschaftliche Erörterung und Einordnung des Begriffs oder des Gefühls: Liebe. Und überhaupt lernen wir bei der Lektüre viel über unseren liebenden Körper und Geist und verstehen am Ende manches besser, was wir mit Eltern oder geliebten Menschen erlebt haben.