Der 53-jährige Schriftsteller Jochen Schmidt vergleicht in der Kolumnensammlung „Zu Hause an den Bildschirmen“ seine Fernsehkindheit in Ost-Berlin mit dem heutigen Fernsehangebot. Er beobachtet auf humorvolle Weise, wie er selbst und seine Kinder mit den unterschiedlichen TV- und Computer-Bildschirmen umgehen, die heute allgegenwärtig sind.
Fernsehen ist keine Freizeitbeschäftigung mehr, zu der man sich gerne bekennt. Man streamt, chattet, postet und mailt. Ein Fernsehgerät ist in vielen Haushalten gar nicht mehr vorhanden.
„Zu Hause an den Bildschirmen“, diese ein wenig bräsig und altertümlich klingende Zustandsbeschreibung, benutzt heute kaum noch jemand. Der 53-jährige Jochen Schmidt hat unter diesem Titel seine Texte für die „Teletext“- Kolumne der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zusammengefasst.
„Schmidt sieht fern“ ist der Untertitel des Buches, das unsere Fernsehgewohnheiten der letzten fünfzig Jahre noch einmal ins Gedächtnis ruft und zu erstaunlichen Ergebnissen kommt. Jochen Schmidt erinnert sich in diesem Buch an seine Zeit als Ost-Berliner Fernsehkind der Vorwendezeit und vergleicht seine Fernsehsozialisation mit der seiner Kinder.
Während seine Fernsehzeit nicht durch elterliche Vorgaben begrenzt war, wählt er die Sendungen für seine eigenen Kinder sehr bewusst aus. So kommen die wunderbaren tschechischen Kinderfilme aus Schmidts Jugend noch einmal zu neuen Ehren.
Wandlung des Fernsehkonsums
Heute ist es dem fernsehbegeisterten Autor peinlich, wenn er von Anrufern zu Hause beim Fernsehen erwischt wird. Tagsüber, stellt Schmidt fest, sei die Scham noch größer als abends.
„Ich glaube, obwohl es fast alle tun,“ bemerkt er dann, „ist Fernsehen nicht nur mir, sondern mehr Leuten als man denkt, ein wenig peinlich.“
Diese Beobachtung mag durchaus zutreffen. Aber Jochen Schmidt geht hier wie auch bei anderen Feststellungen nicht weiter in die Analyse. Warum hat sich unsere Beziehung zum Fernsehen gewandelt? Hängt es damit zusammen, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender längst mehr auf Unterhaltung statt auf Bildung setzen?
Die kurzen Kolumnen-Texte mäandern zwischen Glosse, DDR-Retrospektive und Kindermund-Zitaten, die besonders seine beiden jüngeren Kinder reichlich beisteuern.
Die absurden Seiten des TV-Programmms
Amüsiert bis manchmal auch kalauernd beschreibt der Autor sich selbst und seine Partnerin beim Konsum von TV-Dauerbrennern wie „Bares für Rares“ und „Küchenschlacht“. Bei „Germany’s Next Top Model“ müssen junge Mädchen unter Zuchtmeisterin Heidi Klum „gehen üben“, obwohl sie dazu nach Schmidts Ansicht doch schon mindestens zwanzig Jahre Zeit hatten.
Die Absurdität mancher Fernsehsendungen arbeitet er in den besseren seiner Texte durch überraschende Wendungen und Zitate der Protagonistinnen oder Zuschauer glänzend und scheinbar mühelos heraus. In den schwächeren Texten gleitet er allerdings in humoristische Niederungen ab, die weder sprachlich noch inhaltlich überzeugen. Wer unerbittlich auf die Pointe hinschreibt, tut seinem Text dann auch schon einmal Gewalt an.
Beeindruckend ist, zu wie vielen Themen das Phänomen Bildschirm Jochen Schmidt inspiriert. Er erinnert an die Funktion des Fernsehers bis Mitte der achtziger Jahre, als das Gerät noch zur Grundausstattung in deutschen Wohnzimmern gehörte.
Es war Sedativ und Lagerfeuer, bis es auch in der ehemaligen DDR vom ersten Heimcomputer C64 abgelöst wurde. Wer jung und männlich war, saß ab jetzt zu Hause an einem anderen Bildschirm. Als „eskapistische Subkultur“ erlebte Schmidt die Heimcomputer-Szene, der C64 eine Droge, die spielsüchtig machte.
Bekennender Sportfernsehen-Enthusiast
Da man in Ost-Berlin auch Westfernsehen empfangen konnte, haben sich unzählige Werbesprüche in Schmidts Langzeitgedächtnis eingegraben. ARD und ZDF waren für ihn und seine Mitschüler das Guckloch in den Westen und dessen überwältigendes Konsumangebot. Die männlichen DDR-Bürger schätzten die „Sportschau“ mit dem lässigen Dieter Kürten. Jochen Schmidt muss seit früher Jugend eine astronomische Zahl an Sportsendungen gesehen haben, über die er mehrere Texte schreibt.
Abgesehen von den etwas flachen Witzen, die oft auf Kosten der Partnerin gehen, die abends lieber „Shopping Queen“ sehen will als mit Schmidt über die Weltprobleme zu diskutieren, sind die vielen Texte über Sportsendungen der zweite Punkt, an dem Schmidt vermutlich weibliches Lesepublikum verliert. Welche Frau wünscht sich schon die Rente, damit man rund um die Uhr Sport gucken kann?
Was fehlt, ist ein Inhaltsverzeichnis der Texte und zeitliche Angaben zur Erstveröffentlichung, um sie besser einordnen zu können. Auch nähere Angaben zu der Kolumne „Teletext“ wären hilfreich, um zu vermeiden, dass man hier eine klassische Fernsehkritik erwartet.
Das amüsante Kompendium von Fernsehtexten ist durchaus anregend, dürfte aber thematisch und humoristisch eher eine männliche als eine weibliche Leserschaft ansprechen.