Schon ihr erster Gedichtband „Die gestundete Zeit“ machte Ingeborg Bachmann zum Star der deutschsprachigen Literaturszene. Die genauen Umstände ihres tragischen Todes durch einen Verbrennungsunfall am 17. Oktober 1973, konnten bis heute nicht eindeutig aufgeklärt werden.
- „Herzzeit“: Briefwechsel zwischen Bachmann und Celan
- „Das dreißigste Jahr“: Weiblicher Blick auf die Männerwelt
„Herzzeit“: Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan
Als Ingeborg Bachmann und Paul Celan sich am 16. Mai 1948 in der Wiener Literaturszene kennenlernen, prallen zwei Welten aufeinander: der aus Czernowitz stammende Celan, dessen jüdische Familie deportiert und ermordet wurde, und die Österreicherin aus dem provinziellen Klagenfurt, die eine behütete Kindheit erlebt hatte.
Beginn einer großen Liebesgeschichte zwischen zwei Dichtern
Einen Tag nach dem ersten Treffen schreibt sie bereits an ihre Eltern:
„Der surrealistische Lyriker Paul Celan hat sich herrlicherweise in mich verliebt. Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.“
In den kommenden, gemeinsam verbrachten sechs Wochen, bevor Celan nach Paris geht, entsteht die Basis für eine große Liebesgeschichte. Sie wird von Anziehung und Abstoßung geprägt sein und immer wieder neu geklärt werden müssen.
SWR2 lesenswert Feature „Die Verbrennung". Berichte – Erinnerungen – Mutmaßungen zum Tod von Ingeborg Bachmann in Rom
Das Feature verwebt Christine Koschels Erinnerungen, ergänzt und relativiert durch andere Quellen, mit der Stimme Bachmanns zu einem Bild der Dichterin an der Schwelle des Todes. Sie starb am 17.Oktober 1973. (Produktion ORF 2022)
Gedichtzeilen als Liebescode
Als lyrischer Schlüssel zu der Beziehung gilt Celans Gedicht „Corona“, das in Anspielungen in ihrem lebenslangen Briefwechsel immer wieder auftaucht, auf das sie sich beziehen und dessen Zeilen sie immer wieder wie einen Geheimcode verwenden:
„Wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis.“
In der Liebeserfahrung verdichtet sich die Zeit gleichzeitig zur Gegenwart und wird außer Kraft gesetzt:
„Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.
Es ist Zeit.“
Briefe als Zeugnis der Liebe
Die tiefe Verbindung, die Bachmann und Celan in Wien miteinander eingegangen sind, ist in ihren Briefen ablesbar. Es ist erschütternd, den Briefwechsel zu lesen, der das bewegende Zeugnis zweier Menschen ist, die sich liebten und gegenseitig verletzten, die einander brauchten und letztlich doch nicht miteinander leben konnten.
Wiederholt herrscht langes Schweigen, einmal flammt die Liebe nach sechs Jahren Stille noch einmal leidenschaftlich auf. Fast zwanzig Jahre lang kämpfen sie in ihren Briefen um die Liebe und Freundschaft des anderen: „Entzieh mir Deine Hand nicht, Paul, bitte nicht.“ 1961 kommt es zum endgültigen Bruch.
Erzählband „Das dreißigste Jahr“: Weiblicher Blick auf die Männerwelt
Ingeborg Bachmann veröffentlichte ihren ersten Band mit Erzählungen, „Das dreißigste Jahr“, im Alter von 35 Jahren. Sie hatte aufgehört Lyrik zu schreiben, weil sie, wie sie sagte, das Gefühl bekommen habe, „zu wissen, wie man ein Gedicht schreibt“
Lyrische Prosa
Der Erzählband wird oft autobiografisch gedeutet, weil es häufig Überschneidungen von Lebensereignissen zwischen der Autorin und den Figuren gibt. Trotzdem leben die Erzählungen vor allem von ihrer sprachlichen Dichte und fast lyrischen Qualität.
So heißt es in der ersten Erzählung „Jugend in einer österreichischen Stadt“ über den österreichischen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland:
„Vor Kindern spricht man nur in Andeutungen. Sie können nicht erraten, dass das Land im Begriff ist, sich zu verkaufen und den Himmel dazu, an dem alle ziehen, bis er zerreißt und ein schwarzes Loch freigibt.“
In der Erzählung „Unter Mördern und Irren“ schildert sie eine Stammtischszene unter Männern in Wien. Hier klingt schon deutlich Ingeborg Bachmanns kritische, weibliche Perspektive auf die männlich geprägte Welt an. „Wenn sie zwecklos reden, sind sie auf ihrer eigenen Spur.“
Mythen und Sagen
In der letzten Erzählung „Undine geht“ greift Bachmann typischer Weise einen Mythos auf, wie sich auch grundsätzlich die Sagen- und Märchenwelt durch ihr Werk zieht. Die Wasserfrau Undine, die Männer tötet, die ihr untreu sind, formuliert bei Bachmann einen radikalen Entwurf einer menschlichen Begegnung zwischen Mann und Frau.
Eine Begegnung auf Augenhöhe, ohne Verletzungen. Gleich zu Anfang schleudert sie der Leser*in ihre Wut entgegen: „Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!“ und fordert im weiteren Text weibliche Selbstbestimmung, unabhängig vom Mann, ein.