SWR2 lesenswert Kritik

Georgiana Banita – Phantombilder. Die Polizei und der verdächtige Fremde

Stand
Autor/in
Eva Karnofsky

Was die Politik vor sich herschiebt, hat Georgiana Banita zumindest angestoßen: Sie hat zahlreiche Fälle von tödlicher Polizeigewalt gegen Nicht-Weiße in den USA und in Deutschland untersucht. Ihr Fazit: Die Lage verschärft sich stetig, und Reformen wären dringend nötig.

„Phantombilder. Die Polizei und der verdächtige Fremde“ von Georgiana Banita ist streckenweise nichts für schwache Nerven. Die Forscherin von der Uni Bamberg hat viele Fälle polizeilicher Gewalt gegen Menschen nicht weißer Hautfarbe zusammengetragen – aus den USA und aus Deutschland.

Gleich zu Beginn beschreibt sie ausführlich, wie die New Yorker Polizei 1999 in der Bronx auf den unbescholtenen guineischen Asylbewerber Amadou Diallo 41 Schüsse abgibt, vor seinem Wohnhaus. Seine schwarze Hautfarbe und die Kapuze über dem Kopf passten in das vage Bild eines Serienvergewaltigers, der damals gesucht wurde. Als die Polizisten ihn ansprachen, lief der Mann, der kaum Englisch verstand, erschrocken ins Haus. Als er dann auch noch eine Geldbörse aus der Tasche holte, fielen die tödlichen Schüsse. Angeblich haben die Beamten angenommen, er habe eine Pistole gezogen.

Die Polizisten, schreibt Banita, hatten ein sehr vages Phantombild im Kopf – und Diallo entsprach dem – wie wahrscheinlich auch viele andere Schwarze Männer in der Bronx. Um diese wenig aussagekräftigen Phantombilder als Ursache von Polizeigewalt geht es Georgiana Banita in ihrem Buch, und sie verortet sie nicht nur in den Köpfen der US-Polizei, sondern auch in denen ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen. Dafür bringt Banita zahlreiche Beispiele, etwa das des in einer Dessauer Arrestzelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh aus Sierra Leone. Sie hat sich in die einzelnen Fälle tief eingearbeitet, hat Akten, Untersuchungsberichte und Filmmaterial gesichtet und damit ihre These von den todbringenden Phantombildern glaubhaft unterfüttert.

Ihren Ursprung, so die Autorin, haben diese Phantombilder in der Geschichte. Die amerikanische Polizei entstand einst, um entlaufene Sklaven zu suchen, einzufangen und zu maßregeln. Und so haben sich die Afroamerikaner als Übeltäter förmlich in die Köpfe eingebrannt. In Deutschland haben Kolonialismus und Nationalsozialismus wesentlich dazu beigetragen, Menschen mit dunklerer Hautfarbe als fremd auszugrenzen.

Mit einem Beispiel aus Stuttgart veranschaulicht die Autorin, dass Polizeigewalt, aber auch gesellschaftliche Ausgrenzung und Vernachlässigung, bei Nicht-Weißen ebenfalls dazu führen, dass sich Phantombilder festsetzen. Banita zitiert nach der sogenannten „Stuttgarter Gewaltnacht“ im Juni 2020 einen 17jährigen Italiener, der der Polizei Racial Profiling vorwirft, weil er wegen seines sogenannten „Kanaken-Outfits“ – Jogginghose, Goldkette, Bauchtasche – ständig kontrolliert werde.

Der negative Begriff Kanake werde von den jungen Männern aus Südosteuropa und dem Nahen und Mittleren Osten inzwischen ins Positive umgemünzt und selbstbewusst als gemeinschaftsstiftend und antirassistisch verstanden. Weil man sie grundlos unter Generalverdacht stellt, benehmen sich die jungen Männer der Polizei gegenüber so, wie behauptet wird, dass sie sich benehmen. Was die Gräben weiter vertieft. Eine Stärke des Buches: Viele Beobachtungen werden mit statistischen Daten untermauert.

Die Autorin, von Hause aus Anglistin, geht immer wieder auf den Umgang der Polizei mit Fremden in Filmen wie King Kong oder RoboCop ein und untersucht auch Romane von Arthur Conan Doyle bis Henning Mankell auf ihre Phantombilder. Sie flicht dies in die einzelnen Kapitel ein, was das Buch etwas unübersichtlich macht. Besser hätte sie diesen von vielen Lesern und Leserinnen selbst nachvollziehbaren Beobachtungen ein separates Kapitel gewidmet.

Ansonsten aber schreibt Georgiana Banita verständlich und flüssig. Sie schlägt vor, anstatt in mehr Technik für die Polizei in mehr soziale Maßnahmen beispielsweise für jugendliche Migranten zu investieren: Bleibt zu hoffen, dass dieser durch das Buch gut begründete Vorschlag bis in die Politik vordringt.

Edition Nautilus, 480 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-96054-257-5

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Autor/in
Eva Karnofsky