Wie entsteht Lyrik? Wie sind Dichterinnen und Dichtern ihre berühmten Zeilen eingefallen? Welche ihrer Ideen führte zum Schreiben?
Wie entsteht Lyrik? Wie sind Dichterinnen und Dichtern ihre berühmten Zeilen eingefallen? Welche ihrer Ideen führte zum Schreiben?
Friederike Mayröcker kam vor 100 Jahren zur Welt, doch ihre Experimente mit Texten, vor allem in gesprochener Form, gelten bis heute als herausragend modern. Insbesondere die Hörspiele, die sie mit ihrem Lebenspartner Ernst Jandl zusammen verfasste, zeigen ihren virtuosen Umgang mit Sprache, Klang und Geräusch. In ihren Gedichten beeindruckt die Kombination von starken Bildern und poetischer Sprache.
Wie jedes Jahr hat der Tübinger Verleger Hubert Klöpfer auch für 2025 einen Kalender voller Gedichte zusammengestellt. Es sind lauter Lieblingsgedichte, entweder von ihm selbst oder von anderen Menschen wie AutorInnen, BuchhändlerInnen oder SchauspielerInnen. Klöpfer lässt sich gern Gedichte zuschicken und wählt dann jeweils ein „Antwortgedicht“ aus, das er dem anderen gegenüberstellt. So hat jedes Kalenderblatt zwei Gedichte. Das Besondere daran: Hubert Klöpfer schreibt alle Texte mit der Hand ab. Die Kalenderblätter erscheinen dadurch wie kleine graphische Kunstwerke.
Als Poeta Laureatus am Literaricum Lech schreibt der österreichische Lyriker Clemens Setz jeden Monat ein Gedicht. In seinem achten Gedicht „Die Matrix“ nimmt er Bezug auf Hassreden im Internet, insbesondere am Beispiel des Influencers Andrew Tate. Der war bereits mehrfach wegen Menschenhandels und Gewalt gegen Frauen angeklagt und musste auch Gefängnisstrafen verbüßen. Seine Anhängerschaft bleibt ihm dennoch weiter treu, viele bekunden offen ihre Sympathie mit Andrew Tate im Internet. Clemens Setz vermutet, dass diese Menschen in den radikalen Ansichten von Andrew Tate Trost finden, weil sie voller Angst stecken.
Ein Dichterkollege nannte die polnische Lyrikerin Maria Pawlikowska-Jaznorzewska einmal die „Hexe von Krakau“. Er spielt damit auf ihre nahezu magische Fähigkeit an, menschliche Gefühle zu analysieren und zu beschreiben. Immer wieder geht es in ihren Texten um die Liebe und ihre zerstörerische Kraft. Die Präzision und Reduktion verleihen den Texten eine Ausdruckskraft, die die Autorin bis heute zu einer der bedeutendsten Lyrikerinnen Polens macht.
Der 1932 in Köln geborene Jürgen Becker war 20 Jahre lang Leiter der Hörspielabteilung des Deutschlandfunks. Neben seinen Romanen, Erzählungen und Hörspielen ist Becker seit den 70er Jahren v.a. als Lyriker bekannt. 2012 erschien sein Gedichtband „Scheunen im Gelände“, worin sein Gedicht „Pappeln und Wörter von Felix Hartlaub“ enthalten ist. Der 1913 geborene Felix Hartlaub war als Sachbearbeiter im Oberkommando der Wehrmacht und hatte dort im Krieg intime Einblicke in die Mechanismen der Macht. Seine Aufzeichnungen im knappen Tonfall der sog. Kahlschlagliteratur erschienen erst lange nach seinem Tod. In Jürgen Beckers Gedicht vermischen sich seine eigenen Kindheitserinnerungen an den Kriegsbeginn mit den Beschreibungen Felix Hartlaubs. Den Gedichtband hat Jürgen Becker zusammen mit seiner Frau, der Malerin Rango Bohne, gestaltet. Wie das Bild seiner Frau ist auch das Gedicht selbst eine Collage, in der wirklich und imaginierte Landschaften, wirkliche und erfundene Erinnerungen, Zitate aus Hartlaubs Kriegstagebuch und das Gemälde seiner Frau ineinander montiert sind.
1902 schrieb Rainer Maria Rilke eines der berühmtesten Herbstgedichte der deutschen Literatur, seinen „Herbsttag“. Darin geht es ums Abschiednehmen, vom Sommer, aber auch von den Menschen, auch das Alleinsein wird angesprochen. 120 Jahre später nimmt der Lyriker Claus-Peter Lieckfeld darauf Bezug, aber er sagt: „Rilkes Herbst findet nicht statt“. Lieckfeld ist ein Autor, der sich häufig mit Umweltschutz beschäftigt und sich sehr dafür einsetzt. Und so wird sein Herbstgedicht zu einer Mahnung, die Natur zu bewahren.
„Wenn ich Gedichte mache, werden sie kriminell sein“, schreibt der Heilbronner Lyriker Ernst S. Steffen. Fast die Hälfte seines Lebens hat er im Gefängnis verbracht, wo er zum Schreiben fand. Schon sein erster Lyrikband machte ihn 1969 zu „einem der bekanntesten Gefängnisschriftsteller der deutschen Gegenwart“. Die Veröffentlichung und den Erfolg seines zweiten Bandes hat er nach einem tödlichen Autounfall nur ein Jahr später nicht mehr miterlebt. Eine Neuauflage seiner Werke, herausgegeben vom Heilbronner Literaturhaus-Chef, erinnert an den Schriftsteller, der in seinem Gedicht „Heimkehr“ darüber nachgedacht hat, wie es sein wird, nach Hause und damit in Freiheit zu kommen.
Ingrid van Biesen ist eine saarländische Lyrikerin, Monika Bozem ist Künstlerin und lebt bei Zweibrücken. Vor Jahren fanden sich die beiden Frauen zusammen, um gemeinsam einen Lyrikband zu gestalten. Dabei ließ sich Monika Bozem von Ingrid van Biesens Gedichten inspirieren. Das Ergebnis ist ein Werk, in dem das eine ohne das andere nicht denkbar ist: die Bilder illustrieren die Stimmung, die die Gedichte ausstrahlen.
Die Zeilen in Thomas Braschs Gedicht lesen sich auf den ersten Blick wie ein Prosatext, wie eine Aufzählung von Tätigkeiten, die das Ich an jenem Tag, dem 27. September, nicht getan hat. Damit wirkt der Text entspannt, das Ich scheint friedfertig. Doch der erste Schein trügt. Das Gedicht ist eine poetische Replik auf tagebuchartige Notizen, die die Autorin Christa Wolf über viele Jahre jeweils am 27. September verfasste. Brasch und Wolf lebten beide in der DDR, allerdings verhielt sich Wolf häufig regimegemäß, während sich Brasch gegen das politische System und die damit verbundene Unterdrückung wehrte. Vor diesem Hintergrund kann Braschs Gedicht als subtile Kritik sowohl am DDR-Regime als auch an Christa Wolfs angepasster Haltung verstanden werden.
Der Herbst beginnt und damit schwelgen nicht nur Gärtner, Bauern und Winzer in ihrer Ernte von den Feldern, sondern auch die Lyrikerinnen und Lyrikern. Eins der berühmtesten Herbstgedichte ist die „Ode an den Herbst“ des englischen Romantikers John Keats. Sie besingt die reifen die Früchte, aber auch das langsame Vergehen und sterben in der Natur. Als ob John Keats damit seinen eigenen frühen und tragischen Tod vorweggenommen hätte.
Als Poeta Laureatus des Literaricums in Lech soll der österreichische Lyriker Clemens J. Setz jeden Monat ein Gedicht schreiben und darin auf irgendein aktuelles Ereignis der Gegenwart reagieren. Zunächst war ihm die politische Situation rund um den 82-jährigen US-Präsidenten Joe Biden eingefallen.
Doch dann las Clemens Setz einige Gedichte von Michael Krüger, dem Lyriker, der vor ihm Poeta Laureatus in Lech war und den er bewundert. Daraufhin traute er sich, mit dem Thema etwas freier umzugehen und sich von den aktuellen Geschehnissen zu lösen. Sein sechstes Gedicht „Mitte des Sommers“ handelt deshalb von ganz persönlichen Gedanken und Erlebnissen.
In diesem Jahr hat Karin Fellner ihren sechsten Lyrikband veröffentlicht, dafür wird sie am Sonntag, 8. September mit dem Lyrikpreis der Südpfalz ausgezeichnet. Der Titel „Polle und Fu“ bezieht sich auf die Namen von zwei fiktiven Figuren, die in Karins Fellners Gedichten in einen Dialog treten. In diesen lyrischen Wortwechseln spielen die beiden unter anderem auf Kriegsszenen an, indem sie mit der Sprache jonglieren und Buchstaben variieren. Die Lyrikerin möchte damit dazu anregen, auf diese spielerische Weise die Bedeutung der Worte neu zu entdecken. Sie nennt das einen „mikroskopischen Umgang mit dem Sprachmaterial“.