SWR2 lesenswert Kritik

Florjan Lipuš – Die Verweigerung der Wehmut

Stand
Autor/in
Martin Grzimek

Ein namenloser Mann kehrt aus einer österreichischen Stadt in sein Bergdorf in den Karawanken zurück, weil sein Vater gestorben ist.

An der von Ritualen bestimmten Totenfeier nimmt er allerdings nicht teil. Stattdessen erinnert er sich an seine raue Kindheit. Florjan Lipuš befasst sich in der schon 1985 auf Slowenisch erschienen Erzählung wie in fast allen seiner Romane mit seiner Heimat im südlichen Kärnten.

Auf der diesjährigen Buchmesse ist Slowenien das Gastland. Leider haben die Slowenen wenig Neues zu bieten und verlassen sich deshalb eher auf ältere bekannte Literaten. Dazu gehört auch der in Österreich lebende Autor Florjan Lipuš, dessen schon 1989 ins Deutsche übersetzte Erzählung „Die Verweigerung der Wehmut“ nun in der Bibliothek Suhrkamp erscheint. Lipuš setzt sich darin – wie in fast allen seiner Bücher – mit seiner Heimat auseinander, einem Dorf in den Karawanken im südlichen Kärnten.

Rückkehr in die Karwanken an der slowenischen Grenze

Der Inhalt des Buches ist, kurz gesagt, ganz einfach: Ein Mann, der namenlos bleibt, fährt in Österreich aus der Stadt, in die er übergesiedelt ist, in sein abgelegenes Heimatdorf. Der Grund: Sein Vater ist gestorben. Während der Zugfahrt kommen ihm Erinnerungen an die Landschaft, und im Halbschlaf träumt er Szenen, die ihn an die Gewalttätigkeit des Vaters erinnern. Im Dorf angekommen, geht er zuerst ins Wirtshaus und besucht später das Elternhaus, in dem der Tote aufgebahrt ist. Aber er nimmt nicht am Begräbnis teil, verweigert sich selbst das Bedauern, sondern kehrt stattdessen zu den von schroffen Felswänden umgebenen Orten seiner Kindheit zurück, die ihn mit dem rauen Holzfällerleben seines Vaters verbinden.

Die Totenklage für den verstorbenen Großvater

Soweit die schlichte Rahmenhandlung des schmalen Buches, vorgestellt im ersten und letzten Kapitel. In den beiden dazwischen liegenden geht es um die Rituale im Trauerhaus, um den Abschied der Dorfbewohner von dem Toten und um das monotone Raunen ihrer Klage-Gebete. Wie in einem vorgezogenen Leichenschmaus werden aber auch duftende Teigtaschen gereicht, die man gierig aufisst und dabei die aus den Bodenritzen auftauchenden Schaben zertritt. Es ist ein makaber-ironischer Totentanz, den Lipuš im Kern seiner Erzählung vorführt, ein Abgesang auf die vermeintliche Dorfidylle und eine Abrechnung mit dem dumpfen Glauben, mit dem die katholische Kirche die Köpfe der armen Leute okkupiert hat.

Lipuš erhielt zwar 2018 den „Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur“, allerdings erst im zweiten Anlauf, weil man erst seine auf Slowenisch veröffentlichten und geschriebenen Bücher nicht anerkennen wollte. In diesem Jahr feiert er seinen 85. Geburtstag und zählt längst zu den bedeutenden Autoren nicht nur Österreichs. In seinen Werken entwickelt er ein ganz eigenes literarisches Vokabular voller artistischer Wendungen und wechselnden Perspektiven zwischen Sprachspiel, Reflexion und Handlung. Sie sind sowohl Daseinsbeschreibungen wie auch Sprachkunstwerke.

Viele groteske und surreale Situationen

Dies gilt auch für „Die Verweigerung der Wehmut“. Lipuš liebt es, in unermüdlicher Bilderfolge einfache Situationen surreal und grotesk zu überhöhen. So etwa, wenn er eine Spinne beschreibt, die sich während der Totenwache genau über dem Haupt des Leichnams abseilt und an all die Spinnen im Haus erinnern: „Nachts ließen sie sich von der Decke herab, der Öffnung des Schlafenden entgegen, ergaben sich dem Mief des betäubenden Atmens, drangen zwischen die Lippen ein und legten dort in der weichen und warmen Haut zwischen den Lippen einige Eierchen ab ...“.

Was wie ironischer Spott klingen mag, ist jedoch nichts anderes, als sich durch feingestrichelte Details einem sprachlichen Gemälde zu nähern Dieses Gemälde stellt ein Leben in der Abgeschiedenheit dar und schafft zugleich Distanz zum Klischee dörflicher Einfalt. Lipuš zu lesen ist kein Spaziergang durch spannungsgeladene Episoden. Wie der Autor selbst, der alle seine Bücher mit dem Bleistift schreibt und jeden Satz zigmal überarbeitet, wird auch der Leser dieses, von Fabjan Hafner durchdacht übersetzten Buches gezwungen, sich den Reichtum der sprachlich umgesetzten Eindrücke aufmerksam anzueignen, um dafür mit dem Glück des Gelungenen belohnt zu werden.

Stand
Autor/in
Martin Grzimek