Es beginnt mit einem Paket, das an eine falsche Adresse geschickt wurde. Die namenlose Ich-Erzählerin macht sich auf den Weg zu dieser Adresse, um es abzuholen. Da sie nicht einmal weiß, von wem das Paket kommt, was darin sein könnte und ob es überhaupt für die Firma ist, für die sie arbeitet, klingt das einigermaßen absurd.
Unterwegs zu der Adresse im malerisch-sauberen Zentrum von Amsterdam, hat die Erzählerin nur Augen für den Müll, den sie auf den Straßen entdeckt. Als wolle sie einen Essay über die Wegwerfgesellschaft entwerfen, denkt sie beim Laufen nur über Abfall nach und lässt die Leserschaft an ihren Gedanken teilhaben.
Wie ein Gemälde des Magischen Realismus
Die Leserin fühlt sich an Gemälde des niederländischen Magischen Realismus der 1920er Jahre erinnert, die in Museen des Nachbarlandes gern gezeigt werden. Diese Gemälde beschreiben die Welt scheinbar realistisch, haben aber gleichzeitig etwas Unheimliches, so wie auch die Stadt im Buch, die zumindest aus Sicht der Erzählerin im Müll zu ersticken scheint.
Wie die Pinselführung der magischen Realisten, kommt auch die Sprache des Romans „Xerox“ von Fien Veldman daher: Korrekt, geradeheraus, ohne Schnörkel oder Anklänge von Poesie. Der magische Realismus zeichnete sich obendrein durch Gesellschafts- und Kapitalismuskritik aus: Auch dies greift der in den Niederlanden hochgelobte Debütroman auf, und die Kritik am Wirtschaftssystem mit seinen negativen Auswirkungen auf Menschen, Arbeit und Umwelt ist auch die unaufdringliche Botschaft des Werks.
Sie kommt aus der Provinz und betreut den Bürodrucker
Veldmans Ich-Erzählerin entstammt einfachen Verhältnissen in der Provinz. Darüber berichtet sie in kursiv gedruckten Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. „Wir lebten am Rand der Gesellschaft“, heißt es da gleich zu Beginn. Trotz Universitätsstudiums, so vermutet sie, steht ihr nur der Job am Büro-Drucker offen, weil sie nicht, wie Studierende aus reicheren Verhältnissen, von klein auf darauf vorbereitet wurde, eine Führungsposition einzunehmen. Zwar schwingt da Frustration mit, doch bleibt ihr Ton kühl und sachlich. Ganz wie die beherrscht wirkenden Bilder des magischen Realismus niederländischer Prägung.
Besonders originell gelingt Veldman die Beschreibung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Firma. Die junge Frau bezeichnet ihre Kolleginnen und Kollegen nicht mit Namen, sondern mit ihrer Funktion: „Chef“, „Projekt“ oder „PR“. Sie alle sind austauschbar und wie Maschinen nur auf ihre Funktion reduziert.
Im Gegensatz dazu weist die junge Frau dem Drucker, den sie wartet und mit dem sie die Firmenpost ausdruckt, menschliche Eigenschaften zu: Er wird ihr Ansprechpartner, sie redet laut mit ihm, und ihm offenbart sie auch ihre Vergangenheit. Tragisch, aber auch ausgesprochen komisch.
Inspiriert durch J.J. Voskuils Büro-Epos
Bei der Beschreibung der stupiden Arbeitstage in der Firma orientiert sich Fien Veldman an dem berühmten Romanzyklus „Das Büro“ von Johannes Jacobus Voskuil, der in sieben Bänden den langweiligen Alltag in einer Bürokratie von 1957 bis 87 schildert. Die Autorin aktualisiert die analogen Büro-Routinen Voskuils: Sie werden nun von Computer und Internet beherrscht.
Veldman stellt dem letzten Romankapitel ein Zitat aus Voskuils Mammutwerk voran. Es dreht sich darum, dass man im Büro nur „normale“ Mitarbeitende gebrauchen kann. Wie die magischen Realisten, hat Voskuil hier eine versteckte Bedrohung eingebaut, für alle die, die als nicht normal abgestempelt werden. Und das passt, denn der Erzählerin spielt ein Kollege übel mit, weil sie vermeintlich nicht normal ist.
Was hat es auf sich mit dem fehlgeleiteten Paket? Wie geht es weiter mit der Erzählerin, warum wird sie von Ängsten und Schuldgefühlen getrieben, fragt man sich, und liest gespannt weiter. „Xerox“ von Fien Veldman ist ein klug konzipierter Roman und seine schrullige Protagonistin ist der Leserin fast unmerklich ans Herz gewachsen. Nicht zuletzt, weil Veldmann sie im Präsens erzählen lässt: Da ist es fast, als wäre man dabei, wenn sie an ihrem Drucker steht.