Festival international de la Bande Dessinée, Angoulême 2022

Europas größter Comic-Salon wird 50

Festival d’Angoulême: Internationale Comic-Highlights an einem Ort

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Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Internationalen Trends und künstlerisch beachtliche Entdeckungen auf einem Fleck: Zehntausende Besucher*innen aus aller Welt werden erwartet, wenn am 26. Januar in der westfranzösischen Stadt Angoulême das Internationale Comic-Festival zum 50. Mal seine Pforten öffnet. Die wichtigsten Neuerscheinungen im Überblick.

Festival international de la Bande Dessinée, Angoulême 2020
Mehr als 200.000 Comic-Enthusiast*innen fanden sich vor der Pandemie alljährlich zur Messe in Angoulême ein.

Deutsche Comic-Künstler*innen unter den Top-Titeln des Festivals

Alljährlich Ende Januar herrscht in der kleinen Stadt Angoulême im Westen Frankreichs Ausnahmezustand, wenn das Internationale Comic-Festival seine Pforten öffnet. Besucherinnen und Besucher aus aller Welt informieren sich hier über die neusten Trends und Veröffentlichungen der internationalen Comic-Szene.

In diesem Jahr geht das Festival in seine 50. Ausgabe. Nach einem kompletten Corona-Ausfall 2021 und einem verschobenen Festival im März 2022 hoffen die Veranstalter*innen, nun wieder zu einer ähnlichen Größe wie in Vor-Corona-Zeiten zurückzufinden, als 200.000 Comic-Begeisterte das 40.000-Seelen-Städtchen unsicher machten.

Unter den 46 Titeln der Shortlist für das beste Comic-Album Festivals finden sich auch zwei Werke deutscher Autor*innen. Jens Harders „Beta… civilisations“ erschien bei uns bereits 2014 und ist der zweite Teil seiner „Großen Erzählung“, einer illustrierten Weltgeschichte, die sich diesmal der Zeit von den Urmenschen bis zum Beginn unserer Zeitrechnung widmet.

Der Comic „Work-Life-Balance” von Aisha Franz wurde im vergangenen Jahr bereits mit dem Max und Moritz-Preis ausgezeichnet. Er beschreibt die Arbeitsrealität junger Menschen zwischen Traumjob, Selbstoptimierungswahn und Machtverhältnissen am Arbeitsplatz.

„Work-Life-Balance” in der SWR2 lesenswert Kritik:

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Ein Festival im Zeichen großer Manga-Künstler

Japans Manga gehören seit über 20 Jahren zu den auflagenstärksten Comicreihen, vor allem auch in Frankreich und Deutschland. Es verwundert also kaum, dass in Angoulême drei der künstlerisch bedeutendsten und auflagenstärksten Mangaka (Manga-Zeichner) unserer Tage mit Sounderausstellungen geehrt werden.

Insgesamt 34 Bände umfasst die Serie „Attack on Titan” des 36-jährigen Zeichners Hajime Isayama, die zwischen 2009 und 2021 in Japan erschien. Mit einer vier Staffeln umfassenden Anime-Serie, vier Kinofilme und mehrere Sequels in Comic- und Romanform gehört Isayamas Serie zu den größten Manga-Erfolgen des 21. Jahrhunderts. In Deutschland ist die Reihe, in der es um den Überlebenskampf eines Königreichs gegen riesenhafte, menschenfressende Titanen geht, vollständig im Carlsen-Verlag erschienen.

Hajime Isayama: „Attack on Titan”
Mit großem Medienrummel wurde 2021 der letzte Band von Hajime Isayamas „Attack on Titan” in Japan veröffentlicht. Die Reihe ist einer der erfolgreichsten Manga der letzten Jahrzehnte

Eine große Retrospektive im Musée d'Angoulême setzt sich mit dem Werk des 78-jährigen Zeichners Ryoichi Ikegami auseinander. In den 1980er-Jahren schufen er und Autor Kazuo Koike mit der Serie „Crying Freeman” einen der frühesten internationalen Manga-Erfolge für Erwachsene. Die Serie, in den 1990er-Jahren von Schreiber & Leser in Deutschland veröffentlicht, erzählt die Geschichte eines Mannes, der unter Hypnose zum Auftragsmörder in den Diensten der chinesischen Mafia wird.

Das Schaurige und das Übernatürliche sind die zentralen Themen im Werk von Autor und Illustrator Junji Ito, dem das Festival ebenfalls eine Ausstellung widmet. Ito, Jahrgang 1963, veröffentlichte seine ersten Werke Ende der 1980er-Jahre. Internationale Aufmerksamkeit erregte sein Manga „Uzumaki“ über eine Kleinstadt, in der immer wieder übernatürliche Phänomene auftreten und grausame Todesfälle stattfinden.

Riad Sattouf beim Festival von Saint-Malo 2022
Riad Sattouf wurde in Paris als Sohne eines Syrers und einer Französin geboren. Er ist nicht nur als Comicautor, sondern auch als Filmregisseur aktiv. Für seinen letzten Film „Jacky im Königreich der Frauen“ (2014) war sein eigener Comic die Vorlage.

Queere Themen, Autobiografisches und der Mensch in der Natur beim Großen Preis

Der große Preis der Stadt Angoulême ist eine der wichtigsten Auszeichnungen der internationalen Comicwelt, die im Rahmen des Festivals für das Lebenswerk eines Autors oder einer Autorin verliehen wird. In diesem Jahr streiten drei Autorinnen und Autoren um den Titel.

Die queere Zeichnerin Alison Bechdel wurde 2006 mit dem gefeierten (und erfolgreich für die Bühne adaptierten) autobiografischen Comic „Fun Home” bekannt. Ihre neueste Graphic Novel „Das Geheimnis meiner Superkraft“ ist Bechdels persönliche Auseinandersetzung mit dem Drang nach Bewegung und dem Sinn des Lebens. Der Band erscheint im Mai 2023 in Deutschland.

Bereits zweimal in Angoulême ausgezeichnet wurde die Graphic Novel „Der Araber von morgen“, deren sechster und letzter Band im vergangenen Jahr erscheinen ist. Autor Riad Sattouf erzählt sehr persönlich von kulturellen Unterschieden und seiner Kindheit, die er zwischen der Normandie, Syrien und Libyen verbracht hat.

Dritte Kandidatin ist Catherine Meurisse. Ihr neuester, 2021 erschienener Band „Nami und das Meer“ ist das Produkt einer viermonatigen Residenz der Zeichnerin in Kyoto. Meurisse setzt sich mit Japan und dem Wunsch, die Natur zu malen auseinander. Der noch nicht in Deutschland veröffentlichte Band „Humaine trop humaine“ versammelt Comics, die seit 2017 in Zusammenarbeit mit „Philosophie Magazine“ erschienen sind.

Catherine Meurisse
Catherine Meurisse ist eine der gefragtesten Comic-Autorinnen Frankreichs. Die ehemalige „Charlie Hebdo“-Zeichnerin wurde 2020 als erste Comickünstlerin in die französische Akademie der schönen Künste aufgenommen.

Pädophilie-Skandal überschattet das Jubiläumsjahr

Ein Skandal um den französischen Zeichner Bastien Vivès überschattete die Ankündigungen im Jubiläumsjahr des Festivals. Kritikerinnen und Kritiker werfen dem Autor vor, in mehreren Werken Pädophilie und Vergewaltigung verharmlost zu haben, darunter auch der im renommierten Glénat-Verlag erschienen Band „Petit Paul“.

Eine angekündigte Ausstellung über die Arbeiten von Vivès sagte das Festival in Reaktion auf eine von mehr als 100.000 Personen unterzeichnete Online-Petition ab, auch mit Hinweis auf bestehende Drohungen gegen den Autor.

Anfang Januar leitete die Staatsanwaltschaft in Nanterre wegen der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte Ermittlungen gegen Vivès und zwei Verlage, die Werke von ihm veröffentlicht hatten, ein.

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