SWR2 lesenswert Kritik

Evi Simeoni – Höllenjahre. Die Briefe meines Onkels aus dem Krieg. 1939–1945

Stand
Autor/in
Thomas Moser

Ein junger Mann berichtet von den Fronten des Zweiten Weltkriegs: "Höllenjahre" ist ein niederschmetterndes Zeugnis in Briefen über einen jungen Soldaten und seine Familie in einem Krieg, der das Leben aller überschattet.

Was vor uns liegt, ist ein trostloses und deprimierendes Buch. Oder, um es mit den Worten der Herausgeberin zu sagen: ein "niederschmetterndes" Zeugnis des Zweiten Weltkriegs über einen jungen Mann und seine Familie. Doch gerade das macht den Wert des Buches aus.

Der Gymnasiast Heinz Meyer aus Stuttgart war erst 18, als er im August 1939 zur Wehrmacht eingezogen wurde.

Der Soldat wurde zunächst unter anderem nach Tschechien, Frankreich und in die Niederlande geschickt, wo er Teil der Besatzungstruppen war. Doch schließlich musste er auch an die Ostfront in der Ukraine und Russland, damals Sowjetunion.

Während der gesamten Zeit in der Wehrmacht, bis wenige Tage vor seinem Tod, schrieb er Briefe an seine Eltern und Geschwister sowie in den letzten Monaten auch an seine Braut. Und die schrieben zurück. Sohn Heinz war in den Kriegsjahren das "Zentrum der Familie" schreibt seine Nichte, die Tochter einer seiner vier Schwestern und Herausgeberin seiner Briefe.

Er berichtete meist Alltägliches, was auf unheimliche Art normal und banal erscheint. Aus den besetzten Niederlanden schrieb er: "Hier in unserem Holland haben wir ein ganz nettes Leben."

Über Verletzte oder Tote liest man wenig. Die Soldaten sollten und wollten die Angehörigen nicht beunruhigen sowie keine möglicherweise kriegsrelevanten Informationen verbreiten. Der Zweck des Briefwechsels war vor allem die innige Kontaktpflege mit allen Familienmitgliedern, die in großer Sorge um ihn waren.

Armee und NS-Führung hatten deshalb Interesse an der Kommunikation der eingezogenen Söhne und Väter mit ihren Familien. Das hielt die Moral der Kämpfenden aufrecht und beruhigte die Heimatfront. Eine stichprobenhafte Zensur sollte verhindern, dass die Soldaten das Kriegsgeschehen zu negativ schilderten.

Im Verlauf des Krieges wurden zig Millionen Briefe zwischen Front und Heimat hin und her transportiert. Nicht immer durfte der Ort, wo die Truppe war, genannt werden. Heinz schrieb dann: "Irgendwo im Felde" oder "Im Osten". Wenn er die Mutter bat, einen deutsch-niederländischen Sprachführer zu schicken, übermittelte er damit zugleich, wo er sich befand.

Die Schreiben der Soldaten bilden also nur einen geringen Teil der Kriegswirklichkeit ab.

Schrieb Heinz während des Frankreich-Feldzuges im Mai 1940 noch an die Eltern: "Euer Sohn darf an den großartigen Erfolgen unserer Wehrmacht mithelfen", las sich das 1944, als diese Wehrmacht in Russland auf dem Rückzug war, so: "Wir haben unendlich viel mitgemacht. – Wir waren in schweren Kämpfen. Ich könnte weinen, wer nicht mehr am Leben ist. Wir hausen in Erdlöchern, haben seit eineinhalb Monaten die Wäsche an. – Werde euch später erzählen, was ich jetzt nicht schreiben kann."

Formulierungen, die nur eine Andeutung des mörderischen Kriegsgeschehens gaben.

Insgesamt hat er fast 300 Briefe hinterlassen, etwa jede Woche einen, verfasst in Sütterlinschrift.

Der Krieg kam unaufhaltsam auch nach Deutschland, immer mehr Familien hatten Gefallene zu verzeichnen. Aus Heinz' Klasse überlebten nur zwei Jungen. Schließlich die Bombardierungen der deutschen Städte.

Mit Zwischenkommentaren ordnet die Herausgeberin Evi Simeoni das Geschehen politisch und historisch ein. Dabei fragt sie sich auch, ob ihr Onkel sein Mitwirken an einem Aggressionskrieg nicht einmal bemerkt habe. Er fügte sich ein in das System der Nationalsozialisten, ohne es infrage zu stellen. Anhänger der Naziideologie, der etwa negativ über Juden geredet hätte, war Heinz aber auch nicht. In seinen Briefen kommt der Name "Hitler" nicht vor.

Das zwiespältige Bild kommentiert die Herausgeberin so: "Die Meyers waren Kinder ihrer manipulierten Zeit. Heinz wurde, wie so viele, für dumm verkauft und in den Tod geschickt."

Seine Briefe waren nicht für die Öffentlichkeit geschrieben. In gewisser Weise haben sie eine schonungslose Authentizität: Der Krieg aus den Augen eines jungen Mannes, der zum Täter wurde, ohne die Tat zu erfassen, der er schließlich selber zum Opfer fiel. Das macht das Buch zu einem Anti-Kriegsbuch.

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