Eva Gesine Baur ist eine Routinière der gelehrten Künstlerbiographie, sie veröffentlichte Bücher über Chopin und Mozart. Den Lebensgang der Callas schildert sie mit vielen Schleifen und Schnörkeln, gespickt mit Fotografien, die neben der offiziellen Callas auch die private Maria hervortreten lassen. Denn mit dieser Differenzierung operiert Baur: hier Callas als öffentliche Persona, ehrgeizig, geschäftstüchtig, raffiniert. Dort Maria: ewig jung, naiv und auf der Suche nach Bestätigung und Halt, die ihr das dysfunktionale Elternhaus nie geben konnte. Diese Suche führte sie in die unglückliche Liaison mit dem schwerreichen Aristoteles Onassis, der lieber Jackie Kennedy heiratete, in Schwärmereien für hochsensible Schwule wie Luchino Visconti oder Pier Paolo Pasolini. Maria Callas hatte das Tragische im Blut und ein Talent dafür, sich in die falschen Männer zu verlieben. „Wer sie war und wo ihre Heimat lag“, das schien sie, so Baur, „bis zuletzt“ nicht zu wissen.
Die historischen Hintergründe dieser Heimatlosigkeit hätte die Autorin indes besser ausleuchten können. Zwar sind ihre Anfangskapitel die stärksten, sie liefern ein intimes Portrait von Familienverhältnissen, die man als griechische Tragödie bezeichnen möchte: eine überdominante Mutter, die ihre beiden Töchter Yakinthi und Maria zu Vollstreckerinnen ihres Ehrgeizes dressiert; der herzensgute Vater George, der sich durch seinen beruflichen Abstieg, seine ungebrochene Lebenslust und sein Fremdgehen den glühenden Hass der Mutter zuzieht, von Maria aber in guter Erinnerung behalten wird.
Warum aber die Eltern erst ein halbes Jahr vor Marias Geburt in die USA zogen, bleibt, anders als in der zuletzt erschienenen Callas-Biographie von Lyndsy Spence, unerwähnt. Eine griechische Invasion in Kleinasien hatte 1922 zum überragenden Sieg der Türkei und zum militärischen und politischen Zusammenbruch Griechenlands geführt; eineinhalb Millionen griechische Bewohner der Türkei mussten 1923 das Land verlassen und zogen nach Griechenland. Dort kam es infolgedessen zur Wirtschaftskrise, die einst florierende Apotheke des Vaters auf der Peloponnes lief nun nicht mehr gut, und so begann das Leben der Maria Kalogeropoulou noch im Mutterleib mit der Flucht nach New York. Diesen Kontext von politischer Entwurzelung und Migration, der wie so oft ein sozialer Abstieg folgte, hätte man dem Leser liefern sollen.
Gelungen ist dagegen die Darstellung der Lehrjahre in Griechenland, denn 1937 trennte sich Mutter Evangelia von ihrem Mann und zog mit den beiden Töchtern zurück nach Europa. In Athen überstanden sie mithilfe italienischer Besatzungsoffiziere die Okkupation. Ihre ersten Erfolge feierte die junge Marianna oder Mary, wie sie im Elternhaus genannt wurde, unter den durchaus wohlwollenden Augen der deutschen Besatzer. Nach dem Krieg begann dann ihr kometenhafter Aufstieg zur Primadonna assoluta, mit der Walter Legge, Herbert von Karajan, Visconti und Franco Zeffirelli zusammenarbeiteten. In diese Zeit fällt auch Marias Eheschließung mit Giovanni Battista Meneghini, eine Zweckbeziehung auf beiden Seiten.
Ab hier wird Baurs Darstellung arg anekdotenhaft, hundert Seiten weniger hätten dem Buch nicht geschadet. Vor lauter Narration geht das Wesentliche bisweilen unter. Ein Pluspunkt sind politische Exkurse und der Quellenreichtum, ebenso die Querverbindungen zu Gestalten an der Peripherie des Callas-Kosmos wie etwa der jungen Ingeborg Bachmann, die die Callas 1956 in deren Paraderolle als Violetta in La Traviata an der Scala erlebte.
„Maria Callas ist Griechin, sie hat Tragödie in ihrem Blut, die Fähigkeit, sich selbst auszudrücken“, zitiert Baur den Regisseur Werner Schroeter und kontrastiert das mit der Aussage: „Doch wie die Helden und Heldinnen der Tragödie war sie groß im Aushalten, im verbissenen Aushalten.“
Die Geschichte der Callas ist auch die Geschichte einer Emanzipation: hier die starke, schon sehr früh sehr selbständige Frau, dort das ewige Mädchen, das eine Schulter zum Anlehnen sucht und in dieser Suche seriell enttäuscht wird, inklusive der Zuflucht zu Medikamenten und einem frühen, einsamen Tod. Ein trauriges und zugleich heroisches Leben.