SWR2 lesenswert Kritik

David Kertzer – Der Papst, der schwieg. Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler

Stand
Autor/in
Clemens Klünemann

Nach seiner vor sechs Jahren vorgelegten Studie unter dem Titel „Der erste Stellvertreter. Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus“ liegt nun die deutsche Version des jüngsten Buches von David Kertzer vor; unter dem Titel „Der Papst, der schwieg. Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler“ setzt sich der US-amerikanische Historiker und Pulitzer-Preisträger mit dem Nachfolger Pius' XI., nämlich mit Papst Pius XII. auseinander, dessen Verhalten während des Zweiten Weltkriegs seit Jahrzehnten die Historiker beschäftigt.

Den Vorwurf, geschwiegen zu haben, wird er einfach nicht los: Nicht erst seit Rolf Hochhuts anklagendem Theaterstück unter dem Titel Der Stellvertreter von 1963 beschäftigten sich unzählige Historiker und Publizisten mit Papst Pius XII. – wobei die einen ihm sein Schweigen zur Verfolgung und Ermordung der Juden während seines Pontifikats vorwerfen, während andere behaupten, der Papst habe eben dadurch Schlimmeres verhindert und sei in Wahrheit Retter zahlloser Verfolgter gewesen.

David Kertzers jüngst erschienenes Buch Der Papst, der schwieg scheint sich auf den ersten Blick nahtlos in den Schlagabtausch zwischen Verehrern und Verächtern Papst Pius‘ XII. einzureihen. Tatsächlich jedoch bietet Kertzer, nicht nur wegen seiner Analyse erst jüngst freigegebener Akten und Dokumente, neue Aspekte und so gelingt es ihm, 6 Jahre nach seiner lesenswerten Studie über Pius XI. die festgefahrene Diskussion über dessen Nachfolger Pius XII. aus der Sackgasse der unversöhnlichen Gegensätze zu führen.

Ein Papst zwischen zwei Diktatoren

Akribisch zeichnet der Autor das Verhalten Eugenio Pacellis seit dessen Wahl zum Pontifex nach und belegt nahezu jeden Winkelzug der vatikanischen Positionierung zwischen Mussolini und Hitler mit ausführlichen Quellenangaben. Zwischen diesen beiden Machtmenschen hatte der zurückhaltende und wankelmütige Papst keine Chance: Pacelli habe gewiss seine Meriten, aber er sei schwach und leicht einzuschüchtern, äußerte Eugène Tisserant, der einzige eindeutig antifaschistische unter den Kardinälen kurz nach der Wahl Pacellis zum Papst. Er sollte recht behalten.

Und wem ist es auch zu verdenken, angesichts der Skrupellosigkeit und Grausamkeit von Diktatoren ängstlich zu sein – wer wollte gerade heute, im Jahr 2023, darüber leichtfertig urteilen. Genau das tut Kertzer nicht, wenn er zeigt, dass die Schwäche des Papstes weniger in seiner zurückhaltenden Ängstlichkeit lag als vielmehr darin, sich mal dem einen, mal dem anderen der beiden Diktatoren anzudienen, um mit ihm einen Deal zu machen.

Dass es zwischen Pius XII. und Mussolini bei aller von Herzen kommenden gegenseitigen Ablehnung enge Absprachen gab, ist nichts Neues; aber dass der Papst über einen Mittelsmann, nämlich Prinz Philipp von Hessen, direkt mit Hitler verhandelte, wirft in der Tat ein neues Licht auf das Verhalten Pius‘ XII., der immer behauptete, er habe nichts mit Politik am Hut.

Direkte Verhandlungen mit Hitler

Bei diesen Verhandlungen ging es um einen echten Kuhhandel: Hitler versprach dem Papst, die antiklerikale Propaganda einzustellen und die katholische Kirche in Deutschland unangetastet zu lassen, wenn diese sich gefälligst aus allen sogenannten ‚Rassenfragen‘ heraushalte: Darüber wurde man durch Vermittlung des hessischen Prinzen schnell einig – im Vatikan sprach man von einem neuen Religionsfrieden, den Pius gerne auch mit Mussolini geschlossen hätte.

Stattdessen wurde die vatikanische Klage immer wieder laut, dass die italienischen Faschisten getaufte Juden, die doch wie alle anderen Katholiken zu behandeln seien, „wie reinrassige Juden“ behandele. Hier liegt wohl der Schlüssel zum unseligen Agieren des Papstes: Er machte eben einen Unterschied zwischen denen, für die es sich einzusetzen galt, und allen anderen.

Pius’ angebliche Neutralität war in Wahrheit hochpolitisch

Außer Frage steht, dass der Vatikan zahlreiche Jüdinnen und Juden in den letzten anderthalb Kriegsjahren vor den deutschen Schergen rettete; aber ebenso klar ist, dass sich die jahrhundertealte Dämonisierung der Juden seitens der Kirche nahtlos mit dem Antisemitismus der italienischen Faschisten und deutschen Nationalsozialisten arrangierte.

Und noch etwas wird durch Kertzers Studie überdeutlich: Pius‘ angeblich unpolitische Neutralität während des Krieges war in Wirklichkeit hochpolitisch; seine Aussage während des Neujahresempfangs 1940 für die deutsche Vertretung, er habe nichts gegen totalitäre Staaten, solange die Rechte der Kirche gewahrt blieben, ist bezeichnend.

David Kertzers Fazit seiner spannend zu lesenden und detailgenau recherchierten Studie ist klar: Als Bewahrer der kirchlichen Interessen in schwierigen Zeiten war Pius XII. überaus erfolgreich; als moralische Führungsinstanz in einer nach Orientierung suchenden Welt hat der Papst auf ganzer Linie versagt.

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Autor/in
Clemens Klünemann