SWR Bestenliste

Sigrid Löffler geht in den Jury-Ruhestand: „Und dann einfach Adieu“

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Autor/in
Carsten Otte
SWR Kultur Literaturkritiker Carsten Otte

Zum letzten Mal hat die 82 Jahre alte Literaturkritikerin an der SWR Bestenliste mitgewirkt. Die Jury verabschiedet ihre langjährige Kollegin mit Dankbarkeit und amüsanten Erinnerungen.

Eigentlich wollte sich Sigrid Löffler schon früher von der Jury der SWR Bestenliste verabschieden. Das Reisen falle ihr zunehmend schwer, erklärte sie. Doch die Redaktion konnte Löffler überreden, noch ein Jahr dranzuhängen. Nun hat sich die 82 Jahre alte Literaturkritikerin zum letzten Mal an der monatlichen Abstimmung der SWR Bestenliste beteiligt.

Im Dezember gab Löffler zum letzten Mal ihr Voting ab – die legendären 15, 10, 6 und 3 Punkte für vier Bücher, denen sie möglichst viele Leserinnen und Leser wünscht. „Und dann einfach Adieu“, schrieb sie. Doch ein ganz so „stiller Abschied“, um den sie bat, kann es nicht werden. Denn für die SWR Bestenliste geht eine Ära zu Ende.

Unbestechlichkeit und Urteilsschärfe

Der Südwestrundfunk ist der Literaturkritikerin zu großem Dank verpflichtet, weil Sigrid Löffler mit ihrem Namen zum Renommee der Bestenliste wesentlich beigetragen hat. Auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Jury erinnern sich mit Dankbarkeit an ihr Engagement für die Bestenliste und an manch kontroverse Diskussion.

Juror Martin Ebel schreibt: „Sie haben mir immer imponiert mit Ihrem Mut, Ihrer Unbestechlichkeit, ihrer Urteilsschärfe. Nicht, dass ich immer Ihrer Meinung gewesen wäre! Aber ihre scharfe Ablehnung hat mir immer geholfen, das eigene Argument noch einmal genauer zu prüfen.“ Cornelia Geißler würdigt die „Spuren der Ermutigung“, die Löffler „über Jahre für Kritikerinnen gezogen“ habe: „Wir Jüngeren konnten uns da hineinbegeben und viel besser vorankommen als auf unerschlossenen Pfaden.“

Als Literaturkritikerin sei Löffler ein „Vorbild an Neugier, Lesedisziplin¸ Gedächtnis, Scharfsinn und Witz – in der Bestenlisten-Runde befeuernd und ermunternd, manchmal einschüchternd für uns andere, fürs Publikum ein Magnet“ gewesen.

Profunde Kenntnis im großen Gespräch, das wir Kritik nennen

Für Bestenliste-Juror Christoph Schröder war Sigrid Löffler „einer der wesentlichen Gründe“, warum er „den Beruf des Literaturkritikers ergreifen wollte“: „Ihre klaren, sachlichen und mit profunder Kenntnis unterfütterten Urteile, gepaart mit Leidenschaft für die Autorinnen und Autoren; ihr Durchsetzungsvermögen und auch ihre Streitlust – all das begreife ich bis heute als wesentliche Bestandteile eines großen Gesprächs, das wir führen und Kritik nennen.“

Sigrid Löffler war insbesondere auf der Bühne eine literaturkritische Instanz mit viel Erfahrung auch in anderen Sendungen. Meike Feßmann spricht in ihrer Abschiedsmail von der Freude, Sigrid Löffler „beim flinken Florett mit Denis Scheck zu sehen.“

Schmetterlingspipi!

Eberhard Falcke schickte eine wunderbare Anekdote zum Abschied: „Überhaupt Taxifahrten. Sollte man nicht unterschätzen. Jedenfalls nicht die mit Sigrid Löffler. Da kommt man nicht nur von A nach B, sondern vom Hölzchen aufs Stöckchen, wenn nicht gar vom Stöckchen auf den Stamm des Wesentlichen. Da kennt die Lust an der Urteilsbildung, so wie ich es einst bei Joachim Kaiser erlebt habe, kaum Grenzen.“

Das gelte auch, wenn es um entscheidende Nebensachen geht. „Wie hält man sich wach, wenn eine Deadline rasche Textlieferung fordert? Sigrid nannte ein Elixier, das ich bei ihr nicht erwartet hätte: Red Bull. Igitt! Und, meine Frage, wie schmeckt das? Die Antwort, cool und ungerührt: Wie Schmetterlingspipi.“

"SWR Bestenliste" im Literaturhaus Berlin, 2022. Mit Sigrid Löffler, Iris Radisch, Dirk Knipphals und Carsten Otte

Was ihr österreichischer Landsmann Klaus Nüchtern ganz besonders an Sigrid Löffler bewunderte, „ist ihre frohgemute Unverdrossenheit. Keine Spur von Belletristik-Fatigue (wie sie mich mitunter befällt). Das für unser Milieu nicht untypische Gejammer lässt sie aus, grüßt dafür am Ende ihrer Mails nicht bloß ‚freundlich‘ oder ‚herzlich‘, sondern tatsächlich ‚sehr vergnügt‘. Was soll man darauf antworten? ‚Ganz meinerseits!‘“

Wenn Sigrid Löffler mit einem Beitrag nicht einverstanden war, war sie zuweilen auch alles andere als vergnügt. Jutta Person erinnert sich zum Beispiel, dass sie als junge Redakteurin ein Porträt umformulieren, weniger akademisch fassen sollte: Löfflers „so knapper wie co-erleichterter Kommentar: ‚Jetzt ist Ihnen aber der Knopf aufgegangen.‘“

Schadensfrohsinn war auch dabei

Die Wiener Literaturkritikerin Daniela Strigl wird Sigrid Löffler „im Kreis der SWR-Bestenlisten-Jury vermissen“, weil sie „ein Muster der Furchtlosigkeit, des angriffslustigen Witzes und weiblicher Souveränität“ gewesen sei:

„Sie redete niemandem nach dem Mund, sie war urteilsfreudig, manchmal auch apodiktisch. Man konnte viel lernen in ihren Texten und man konnte sich prächtig unterhalten, mitunter war es auch Schadenfrohsinn, den sie auslösten. Meine Bewunderung war nicht auf eine totale Übereinstimmung unserer literarischen Ansichten gegründet (zum Beispiel wollte ich Sigrid Löfflers Verdikt gegen Thomas Bernhard nie teilen), meine Bewunderung galt einer Auffassung von Kritik, die das zu kritisierende Werk mit Respekt, aber stets auch mit Grandezza zerlegt und reflektierend neu zusammensetzt, einer Kritik, die aufräumt im Kopf wie auf dem Papier und die sich in ihrer Rhetorik genauso des eisernen Besens zu bedienen weiß wie der feinen Klinge.“

Paul Jandl wird Nachfolger

Kirsten Voigt spricht von „Würde, Witz und Wissen“, wenn sie an Sigrid Löffler denkt. Und Jurorin Insa Wilke möchte sich bei Löffler bedanken, „für das Vorbild, die lässige Selbstverständlichkeit, mit der sie gezeigt hat, dass Ethik und Ästhetik, Gesellschaft, Politik und Literatur nicht immer sinnvoll zu trennen sind und dafür, dass so klar ist, wenn man ihre Texte liest und ihr zuhört: der Beruf der Literaturkritikerin ist unbedingt notwendig für eine Gesellschaft, die sich demokratisch nennt.“

Es sind gewiss große Fußstapfen, in die ein Nachfolger treten wird. Über die Nachricht, dass der Literaturkritiker Paul Jandl ihr in der Jury der Bestenliste folgen wird, äußerte sie sich „hoch erfreut“.

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Die 1943 in Anatolien geborene Übersetzerin und Schriftstellerin Tezer Özlü gehörte in den 1980er Jahren zu den wichtigsten Vertreterinnen junger Literatur in der Türkei. Obwohl sie auch in Deutschland gelebt hat, ist sie hierzulande weitgehend unbekannt geblieben. Özlüs „Suche nach den Spuren eines Selbstmordes“ erscheint hierzulande zum ersten Mal, obwohl das Buch auf Deutsch verfasst und mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Die Autorin reist nicht nur zu den Schauplätzen ihrer literarischen Heroen wie Kafka, Svevo und Pavese, sie erkundet in einer „apodiktischen Sprache“ (Nüchtern) auch eigene Sehnsüchte, Träume und Wünsche. Das Buch entwickelt sich damit zu einer literarischen Feier der „unbedingten Rebellion“ (Dotzauer).
Auf dem Programm in Heilbronn standen außerdem: mit „Unser Ole“ der neue Roman von Katja Lange-Müller (Platz 2), die Prosaminiaturen “Unsere Fremden“ von Lydia Davis (Platz 3) sowie der aus dem Russischen von Olga Radetzkaja übertragene Roman „Der Ansprung“ von Maria Stepanova (Platz 4). Aus den vier Büchern lasen Isabelle Demey und Dominik Eisele. Durch den Abend führte Carsten Otte.

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