In „Love Me Tender“ geht es um eine Frau, die nach der Trennung von ihrem Mann um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn kämpft: ihr Ex-Mann möchte den Kontakt zu ihr abbrechen, nachdem er von ihrer Homosexualität erfahren hat. Constance Debré schreibt in ihrem Roman „Love Me Tender“ in einer präzisen, schmucklosen Sprache über den Weg ihrer inneren Befreiung.
Constance Debrés autofiktionaler Roman „Love Me Tender“ handelt von einer radikalen Entsagung und beginnt so:
„Warum sollte die Liebe zwischen einer Mutter und einem Sohn nicht genau wie jede andere sein? Warum sollten wir nicht aufhören können, einander zu lieben? Warum sollten wir uns nicht trennen können? Warum nicht ein für alle Mal auf die Liebe pfeifen, die sogenannte, in all ihren Formen, auch dieser?“
Schreiben, Schwimmen und Sex
Seit er weiß, dass sie Sex mit Frauen hat, entzieht der Exmann ihr den gemeinsamen achtjährigen Sohn. Zu dem Zeitpunkt hat die Erzählerin bereits alles hinter sich gelassen. Den Job als Anwältin in Paris, die feste Wohnung, materiellen Besitz. Von nun an konzentriert sie sich aufs Grundlegende. Schreiben. Und Schwimmen. 40 Minuten Kraul, jeden Morgen. Sie taucht ein in Chlor, um sich zu wappnen gegen die Zumutungen, mit denen der Kampf ums Sorgerecht sie konfrontiert. Dazu Sex. Beides körperliche Aktivitäten, bei denen man, so sagt sie, ausnahmsweise die Klappe hält und aufhört zu lügen. Ihren Körper formt sie zu dem einer Kriegerin.
„Ich trainiere, um unzerstörbar zu werden. Ich muss mich vergewissern, dass ich es bin.“
In einem Radiointerview auf France Culture erklärt Constance Debré es so:
Im Revier der Männer wildern
„Love Me Tender“ liest man mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Unbehagen angesichts des offen zur Schau gestellten Machismo einer Frau, die auf dem Weg ihrer inneren Befreiung andere Frauen als Steigbügel benutzt. Es ist nicht Lust, die sie treibt.
„Was mich an der Homosexualität interessiert, sind nicht die Frauen, die ich ficke, sondern die Frau, die ich werde.“
Da ist aber auch Faszination, weil Constance Debré nicht nach unserer Zustimmung verlangt und mit ihrer Darstellung weiblicher Promiskuität in einem Revier der Literatur wildert, das sonst von Männern bewirtschaftet wird.
„Finito, die Arbeit, die Wohnungen, die Familien. Ihr glaubt nicht, wie gut das tut.“
Und auch die Sprache zieht in den Bann. Drei Prozent der Arbeit am Text sei Schreiben, der Rest Überarbeitung, hat Constance Debré einmal gesagt. Ihre geschliffenen Sätze in ein präzises Deutsch zu bringen – das ist Max Henninger hervorragend gelungen. Die Unnahbarkeit und der Hochmut, auch die Härte dieser Frau, die sich als zarten Schriftzug ‚fils de pute‘ hat eintätowieren lassen, werden greifbar.
„Hurensohn, steht auf meinem Bauch, wer mit mir ins Bett geht, hat das gelesen, das sind die Geschäftsbedingungen, Schätzchen.“
Ich selbst sein, um jeden Preis
Dann wieder Sätze voller Schmerz über die Zurückweisung durch ihren Sohn und ihrer beider Entfremdung:
„Was ist das für eine verrückte Welt, in der ich lebe? Diese Welt, in der sich die Liebe in Schweigen verwandelt, ohne dass der Tod eintritt?“
Erst nach Jahren kann er hinnehmen, dass sie das traditionelle Konzept von Mutterschaft, das sie einengt, aufbricht und für sie beide neu erfindet.
Gibt es bedingungslose Liebe? Müssen wir unser innerstes Selbst verleugnen, um akzeptiert zu werden? Und was passiert, wenn wir das nicht tun? Es sind existenzielle Fragen, die Constance Debré stellt. „Love Me Tender“ ist ein kraftvoller Roman über eine gewaltsame Selbstermächtigung und den freien Willen.
„Also ja, einfach so ohne Netz über die Dächer springen, das gefällt mir. Ich glaube, es ist das, was ich immer wollte.“
Wer etwas von Freiheit verstehen will, sollte in Zukunft die Bücher von Constance Debré lesen.
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