Der Dichter ist abgelenkt, dauernd passiert was. Libellen, Schnecken und der demente Schauspieler Bruce Willis beanspruchen seine Aufmerksamkeit im Sommer in Wien. Der Krieg tritt da in den Hintergrund. Aber was ist es, was da in der Hitze flirrt?
Mitte des Sommers
Shoutout an die Libellenplage
in unserem Bezirk dieses Jahr,
wie kleine fliegende Crackpfeifen
erschienen sie überall, Jesus Christus,
in Innenhöfen und Vorgärten,
in Seitenstraßen und auf Balkonen,
so weit entfernt von jeder Wasserstelle
in schillernden Kriegsfarben, Shoutout an
das alte Verkehrsschild, das heute voll winziger,
also wohl grade erst frisch geschlüpfter
Weinbergschnecken war, Shoutout
an den Mittsommermond mit dem grauen
Verbandszeug über seiner Wange, und
Shoutout besonders an die letzten Filmszenen
von Bruce Willis kurz vor seinem Verstummen,
immer wieder fallen sie mir ein in diesen Tagen,
Szenen, in denen er nicht mehr wusste,
wo er war und worum es ging
und ein kleiner Mann im reisgroßen ear piece
ihm Zeile für Zeile den Text vorsagte,
während Willis sich immer wieder
verwirrt nach der Filmcrew umblickte,
Shoutout an meine Kindheit in Graz,
so winzig klein inzwischen wie ein Insektenstich,
Shoutout auch an die Drei Fragezeichen
in ihrem verwunschenen Hauptquartier,
ich selbst hätte nie einen Fall gelöst, Shoutout
an das Moos auf den Baumstämmen direkt vorm Fenster,
und Shoutout nochmal an den kleinen Mann
im ear piece und an den letzten Satz
in der letzten Szene des Films Assassin (2023),
wo er Bruce Willis, bevor eine Frau
ihn mit einem Kopfschuss tötet, sagen lässt:
I can already feel it – in my head,
womit die Kugel gemeint ist,
Shoutout an diese unechte Kugel,
man sieht im Film nicht mal die Wunde,
nur den Schuss, den Knall, Shoutout an die Sonne,
an die Libellen, an die Mitte des Sommers,
die so nie mehr wiederkommt, Shoutout,
Shoutout
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Clemens Setz ist einer der Autoren, die wirklich weite und ausladende Brücken bauen können. Zwischen virtueller Welt und realem Alltag, zwischen Wahnsinnn und Vernunft, zwischen Netz und Erde. Eine fünfköpfige Jury wählte ihn nun zum Poeta Laureatus 2024.